
Otto Andreas Schreiber
:Vom Sarg aus gesehen
Ich war sehr gern in Berlin, vor allem, nachdem ich
Irmgard gesehen hatte: Sie ging zwei Meter von der Registrierkasse zum
Mauervorsprung, das genügte. Wer ist Irmgard? Na ja, wer das nicht
weiß und erst so dumm fragen muss. –
Was tut man, wenn alles um einen herum drunter und drüber geht und
wenn man sich feig und ausgeschlossen und egoistisch vorkäme,
wollte man nicht auch sein eigenes kleines Gewicht in die Waagschale
werfen: Man muss sich engagieren, heißt die Antwort in der
heutigen Mundart. Man muss die Welt verbessern – niemand war
richtig jung, der das in seiner Jugend nicht wollte.
In der Jugendbewegung war das ja auch unser Ziel, allerdings, so
wie es 1931 aussah, war es mit der Jugendbewegung nicht zu schaffen. Da
waren ganz andere Kräfte ins Rollen gekommen, gegen die sich alle
Bünde der Jugendbewegung wie Kinderei ausnahmen.
Wohin also nun mit dem eigenen „kleinen Gewicht“?
Ich war Individualist und Freiheitsfanatiker als Maler, ich war
Nationalist als Maler, weil ich aus meiner geliebten Heimat, die ich
unablässlich malte, von den Polen vertrieben worden war, ich war
Sozialist als Christ und Maler, weil ich Mitleid mit allen Armen hatte
und nur arme Menschen mich zum Malen reizten,
„Schweinehirt“ – das erste Bild, das von mir
ausgestellt wurde –, ich war Internationalist, Liberalist,
Sozialist, Christ, Nationalist, - ein liberal-sozialer Konservativer,
was will man mehr! Dazu war ich Pazifist und Antimilitarist durch und
durch; in Reih und Glied stehen, in Kolonne marschieren, das war mir
widerlich, aber Farben tragende Studenten – wenn auch nicht ihre
blutigen Mensuren – fand ich höchst erhaltungswürdig,
alle Gleichmacherei war tötend, es musste Reiche und Arme geben,
sie durften natürlich nicht so arm sein, dass sie darunter litten,
etwa gar Hunger litten, die Welt musste lebendig, vielfältig,
farbig bleiben, dafür wollte ich mich schon ganz gern einsetzen,
als pazifistisch-nationaler, liberal-sozialistischer,
konservativ-moderner Christ und Maler!
Schräg gegenüber dem Kunstschuleingang wohnte ich in
einem winzigen Zimmerchen bei einem Arbeiterrentner, der mir immer
seine Parteizeitungen, wenn er sie gelesen hatte, unter die Tür
schob, das war sehr freundlich von dem untersetzten, gutmütigen
Mann; dass er damit auch Propaganda für seine KPD machen wollte,
nahm ich als verständlich und selbstverständlich an und da
ich mir keine Tageszeitung halten konnte, quittierte ich die kostenlose
Information mit Dankbarkeit. Aber eines Tages fügte er eine
Broschüre bei; und da sah ich russische Bauernhäuser, mit
Stroh gedeckt, wie meine geliebten westpreußischen Karten,
Sonnenblumen im Vorgarten, unter der Überschrift „Wie es
bisher war“ abgebildet, und gegenüber unter „wie es in
Zukunft sein soll“ nackte, kalte, dreistöckige
Kolchose-Ziegelbauten! Nein, das auf keinen Fall! Was mich bekehren
sollte, erfüllte mich mit Abscheu. Es prägte sich mir tief
ein und stand mir von da an immer vor Augen, wenn vom Kommunismus die
Rede war.
Also vielleicht doch Hitler? Wenn der Mann nur nicht diesen Vornamen
und diesen unmöglichen Schnurrbart unter der Nase hätte!
Unmöglich, diesen Kopf zu malen! Aber war das ein politisches
Argument? Vor einer Wahl, die wievielte war es?, ging ich durch die
Schöneberger Hauptstraße und sah alle hundert Meter einen
Tisch, darauf Bilder von Hitler oder Goebbels aufgestellt, rechts und
links davon Blumenschmuck und neben dem Tisch rechts und links je einen
stramm postierten SA-Mann. Es fehlen nur noch die Kerzen, dachte ich,
sonst ist alles da, Altarbilder, Blumen und die zwei Ministranten!
Merken sie nicht, wie sie die katholische Kirche beklauen?
Präsentierte sich so die junge, moderne Bewegung, als die ich mir
die Partei vorstellte? Noch sah ich es nur als kleinbürgerliche,
kitschige Form von Propaganda, nicht als Sakrileg, noch war Röhm
nicht erschossen. Aber eine dunkle Ahnung, dass der Zynismus in der
Wahl der Mittel und ein Massengeschmack niedrigsten Niveaus sich etwa
durchhalten könnten, machte mich schaudern. Dieses Erlebnis hat
mich tagelang verstört. Zuwider waren mir die ewigen
Demonstrationen, die Paraden, das ganze uniformierte
militärähnliche Brimborium. Natürlich, solange man um
die Macht kämpfte – alle Welt war ja irgendwie uniformiert,
der Rotfrontkämpferbund, die Jugend der nationalen Front in ihren
blauen Hemden, die wir verächtlich „Bollejungs“
nannten, der Stahlhelm. Wenigstens für mich selbst wollte ich
unter allen Umständen meinen Individualismus demonstrativ
herausstellen, das hatte ich schon 1932 getan, als ich noch in der SA
war, in jenen Monaten offiziell verboten. So traten sie zu einer
Massenkundgebung vor dem Berliner Schloss nicht in Uniform an, sondern
durchweg in „Räuberzivil“, das war im Allgemeinen die
Windjacke und der Langschäfter. Ich besaß damals als Gag ein
rotes Hemd, dies zog ich zu meinen langen Hosen an, und so kam es, dass
aus der graudunklen Masse von Tausenden, die sich zwischen Dom, Schloss
und Spree vor der Hauptrede einfach auf den Platz hinsetzten, mein
rotes Hemd, da ich kein Jackett trug, wie ein weithin leuchtendes,
sozialistisches Fanal behauptete. Meine Kameraden vom Sturm 56, die
sowieso zum großen Teil ehemalige Kommunisten waren,
amüsierten sich königlich, niemand protestierte.
Überhaupt fand ich meine Zeit in der SA von November 1931 bis
Herbst 1932 nicht unsympathisch, das Stammlokal war eine Kneipe in der
Nähe von Onkel Behnkes Drogerie, die Kameradschaft sehr herzlich,
Sturmführer war ein Student, Truppführer „Ratte“,
ein ehemals kommunistischer Arbeiter; der für mich zuständige
Truppenführer Barry, ein liebenswürdiger, schmächtiger
blonder Junge, der Charme seines Lächelns ist mir unvergesslich.
Die Abende waren für mich als ehemaligen Jugendbewegten von einer
rührenden Naivität, neben patriotischen Liedern konzentrierte
sich die theoretische Schulung ganz auf die große Hoffnung, die
neue Partei werde Arbeit und Brot schaffen. Arbeit und Brot, ohne sich
an Russland auszuliefern, das war das für diese einfachen Menschen
plausible Ziel, das so auch haargenau in diese Schöneberger
proletarische Rummelplatz-Atmosphäre hineinpasste.
Verlangt waren ununterbrochene Werbung, Verteilen von Flugblättern
in die Briefkästen an Sonntagvormittagen, einmal Ausflug auf einen
Märkischen Gutshof, mit großem, mich an Jacobsen erinnernden
ummauerten Gutspark, darin ein schönes, schmales Mädchen im
Sommerkleid, Campieren im Freien, Kirchgang sogar mit Singen von
Kirchenliedern. Einmal Beerdigung eines in einer politischen
Schlägerei getöteten SA-Mannes auf einem Friedhof im Berliner
Norden, zurück Spießrutenmarsch durch wütende,
brüllende Volksmenge, demonstrativ vorbei an der Roten Zentrale
auf dem Alexanderplatz. Der politische Kampf in diesen Monaten war in
Berlin erbittert, und oft genug blutig. Ich bekam am Rande mit, dass
jeder auf der Hut sein musste, bis in seine Privatwohnung hinein. Ein
SA-Mann, irgendwo in Berlin, wurde in seinem Hausflur von drei
politischen Gegnern überfallen, sie hatten ihn halbtot geschlagen
und ihm „die Eier zertreten“. Nachts durch die schlecht
beleuchtete Grunewaldstraße zu gehen, eine ziemlich
ungemütliche Sache.
Für mich war unser SA-Sturm 56, trotz seiner aggressiven
Bezeichnung, eine normale politische Männergruppe, die nicht mit
Gewalt, sondern durch Werbung und Überredung für ihre
Vorstellungen wirken wollte. Nicht durch Gewalt, sondern durch
Überzeugung, nicht durch Revolution, sondern legal – so
hieß es immer wieder. Trotz der Entschlossenheit, sich bei
körperlichen Angriffen, sollten sie erfolgen, zur Wehr zu setzen,
habe ich keine Waffe gesehen, keine Gewalttätigkeit oder
Schlägerei erlebt. Wäre das der Fall gewesen, so wäre
meine Erinnerung an dieses Dreivierteljahr in der SA ganz gewiss
weniger angenehm. So aber möchte ich diese meine
Zugehörigkeit zum Sturm 56 in Berlin-Schöneberg keinesfalls
in meinem Leben vermissen, die dabei gewonnenen Erfahrungen, der
erstmalige intensive Kontakt mit jungen Arbeitern der Großstadt.
An den „Sturmabenden“, wie die wöchentliche
Versammlung hieß, füllten wir ein kleines Hinterzimmer der
Kneipe, bei dem erwähnten Ausflug ins Märkische fanden wir
auf einem Lastwagen Platz, vielleicht waren wir 30, vielleicht 40, alle
im Alter einer heutigen Fußballmannschaft, keine Specknacken,
kein Erwachsen im Gesicht, kein Bierbauch darunter. Und dass dies
durchweg Proletarierjugend war, steht für mich allein schon
dadurch fest, dass ich trotz meiner bäuerlichen Vorfahren
typischer Bürgersohn, mich unter ihnen als Fremdkörper
fühlte, trotz aller Kameradschaft, im Grunde nicht integrierbar,
haargenau so wie sieben Jahre später in der Infanterie.
Im Herbst 1932 erklärte ich meinen Austritt aus der SA. Ich hatte
den Eindruck, dass mein Truppführer Barry ziemlich traurig war,
als er mir den Schein aushändigte, worin attestiert war, dass ich
nicht im Bösen von der SA geschieden sei. Aber ich bin
überzeugt, dass ich nie, auch nicht für dieses
Dreivierteljahr, Mitglied geworden wäre, wenn sie sich mir nicht
als verbotene Organisation in Räuberzivil, sondern so Braun,
durchuniformiert wie zur und nach der Machtergreifung präsentiert
hätten.
Und da bin ich wieder bei meinem Individualismus, meiner tief sitzenden
Aversion gegen Uniformen, Paraden, Aufmärsche, Demonstrationen
aller Art, überhaupt gegen Uniformität und jede
Selbstdarstellung der Menschen als Masse, seien es linke
Volksaufläufe oder Katholikentage. Die Einigkeit von Millionen
erhebt mich nicht, sie schüchtert mich ein, ängstigt mich,
macht mich traurig.
Aber was tun, überall, wohin man schaute, waren Massen formiert,
Parteien, Organisationen, Vereine. Der Staat indes schien der
Auflösung und dem Chaos zuzusteuern, die große Mitte, von
der SPD über Staatspartei, Zentrum, Deutsch-Nationale bis Deutsche
Volkspartei wurden immer kleiner und schwächer, die Zukunft
würde einem der harten Flügel, den Nazis oder den Kommunisten
gehören, nichts anderes war möglich, man durfte es sich
aussuchen.
Alle, die jene Jahre nicht selbst erlebt haben, wissen gar nicht, wie
schwachsinnig, um nicht zu sagen: töricht sie daherreden mit
ihrem: Wie konntet ihr darauf hereinfallen! Man musste doch ahnen, wie
das kommen würde!
Es gab nichts reinzufallen, es gab nichts zu ahnen.
Auf der einen Seite der kommunistische Kollektivismus, Stalins
blutrünstige „Säuberungen“, auf der anderen Seite
ein nationaler Sozialismus, mit zwar – möglicherweise
spießbürgerlicher – Ordnungsmacherei, aber mit ganz
gewiss mehr individueller Freiheit als beim Kommunismus. Das war die
Alternative. Als einziges Beispiel für praktizierten Kommunismus
bot sich uns in der damaligen Welt Stalins Russland, als einziges
Beispiel für praktizierten Faschismus bot sich uns Mussolinis
Italien an. Nur über diese Alternative wurde diskutiert, der
Republik gab niemand mehr eine Chance. Bei jeder Wahl wuchs die Zahl
der Nazis wie die der Kommunisten, bei jeder Wahl schrumpfen die
demokratischen Parteien. 1931 war die Angst vor der heranrollenden
Unausweichlichkeit am stärksten. Kommunismus oder Faschismus,
Russland oder Italien, Stalin oder Mussolini – was, wenn es nur
eins von beiden sein konnte, war vorzuziehen? Stalins Schnurrbart
gefiel mir viel besser als Hitlers, aber der Kollektivismus war mir
höchst widerwärtig, die Enteignungen der Kulaken (entsprachen
sie nicht meinen geliebten Deutsch-Cekziner Bauern?), Verhaftung,
Deportation, Hinrichtung von ganzen Menschengruppen, alles, was man
über Russland damals hörte, stank mir. Sicher, Mussolinis
Faschismus war auch eine Diktatur, aber doch wohl kultivierter als die
russische; war nicht Marinetti, der Wegbereiter des Futurismus
persönlicher Freund Mussolinis? Außerdem würde ja
Hitler, der sich nicht als Faschist bezeichnen ließ, den von ihm
respektierten Mussolini nicht sklavisch nachahmen, er würde zwar
energisch regieren – das tat ja auch wahrhaftig Not bei 7,5
Millionen Arbeitslosen, Bauernpleiten, Staatspleite, Korruption und
Verbrechen an jeder Ecke – aber im Ganzen würde er
menschlicher regieren können als Mussolini, der es ja mit der
italienischen Lust an der Unordnung nicht leicht hatte. Jedenfalls war
Hitler mehr Zivilist als Mussolini, niemals – das hatte mir Fritz
Hippler auf meine dringende Frage zugesichert – würde Hitler
einen Krieg beginnen, wer es im Weltkrieg nur bis zum Gefreiten
gebracht habe, wer als Kriegsverletzung eine, wenn auch nur
vorübergehende Erblindung erlitten habe, ein solcher sei alles
andere, nur nicht Militarist. „Und dann Mensch“ sagte er,
„du weißt doch, wie stolz Hitler auf die germanische Rasse
ist, die Jugend Deutschlands, Zukunft usw. Und das steht doch fest,
dass in jedem Krieg immer zuerst die Jungen und die Besten und
Tapfersten fallen, und da glaubst du doch nicht, dass Hitler einen
Krieg will und brauchen kann!“ Ich warf ein: „Ja, Achilles
musste fallen und Thersites fiel zurück.“ „Na siehst
du“ fuhr Fritz fort, „Hitler kann nur eine Angst haben,
dass nicht andere mit ihm Krieg anfangen. Wenn er nämlich seine
Pläne durchführen will, Ordnung des Staats, Arbeit und Brot
für alle, Gesundung der Finanzen, der Wirtschaft, sieh dir doch
an, wie der Staat jetzt langliegt, da reicht kaum sein eigenes
Lebensalter, da braucht er eigentlich mehrere Generationen friedlicher
Arbeit, keinesfalls aber einen Krieg.“ Ich sah wohl noch immer
skeptisch drein, da fasste er mich am Ärmel und zog mich vor ein
Foto, das gerahmt an der Wand hing. Man sah ein flaches Feld, in der
Mitte ein Grabhügel mit Holzkreuz, worauf ein Stahlhelm hing.
Davor stand entblößten Kopfes eine hagere Soldatengestalt,
die Feldmütze in den Händen, wie betend stand sie da.
„Das ist mein Vater,“ sagte Fritz, „er ist dann
selbst gefallen. Ich bin als Kriegswaise bei meiner Mutter
aufgewachsen, weiß, was es heißt, als kleiner Junge den
Vater zu verlieren. Ich gebe dir mein Wort: Nie würde ich einer
Partei angehören, von der ich es für möglich hielte,
dass sie einen Krieg anzettele.“
Ich muss sagen, ich war bewegt und hinsichtlich meiner Zweifel
beruhigt. Ich sehe noch das ärmliche schmale Zimmer vor mir,
über seinem Bett neben dem Fenster hing seine Studentenmütze,
darunter zwei gekreuzte Säbel, denn er gehörte einer
schlagenden Verbindung an.
Seine Mutter, eine kleine, sehr liebe alte Dame, bediente uns mit
Kaffee und Kuchen an einem Tisch auf einem winzigen Vorplatz des
Häuschens, und einem Baum, den ich auch klein und ärmlich in
Erinnerung habe. Was wuchs schon in dieser Industrieluft des Berliner
Nordens!
Bei Kriegsende, als Fritz in ein Lager kam, nahm sich seine Mutter das Leben.
Als ich aus der SA ausgetreten war, wollte ich doch, - typisch
katholisch – mein Gewissen für den Fall, dass Deutschland
kommunistisch würde, im Voraus entlasten, und zwar dadurch, dass
ich jedenfalls das meine gegen den Kommunismus getan hätte. Meine
Malerfreunde von der Kunstschule verhöhnten mich: „Das ist
doch eine Kitschbewegung, die werden dich mit deiner Malerei schön
in die Pfanne hauen“, aber ich meinte, dass sei alles nur Mittel
zum Zweck, wenn eine Partei auf legalem Wege zur Macht kommen wolle,
müsse sie zunächst mal dem Volksgeschmack nachkommen, mit
irgendeinem Bekenntnis zur Modernen Kunst würde sie die
Wähler verschrecken, das könne später ganz anders
aussehen, vor allem käme es darauf an, dass beim Beginn einer
nationalsozialistischen Regierung moderne Maler als Mitglieder in der
Partei seien und ihre Auffassung zur Geltung brächten.
Dies war nicht nur eine vage Hoffnung, sondern meine felsenfeste
Überzeugung, darum trat ich nun in alle Verbände, die meinen
Beruf berührten, ein, in den Studentenbund, in den Kampfbund
für deutsche Kultur, in den Lehrerbund. Ich flog aus allen drei
Organisationen heraus, ehe ein Jahr vergangen war.
Als ich mich dem Berliner Studentenführer Fritz Hippler
vorstellte, trug ich einen langen, feldgrauen Offiziersmantel des
ersten Weltkrieges, – Professor Martin Paatz hatte ihn mir
geliehen oder geschenkt – eine Augenklappe, weil ich ein
Gerstenkorn hatte, und ich stützte mich hinkend auf einen Stock,
weil ich mir beim Fußballspiel der Kunstschulmannschaft auf dem
Berliner Kickerplatz das Knie verletzt hatte. Zu meinem Erstaunen
gestand mir Fritz kürzlich, er habe damals regulär Angst vor
mir gehabt, so martialisch sei mein Auftreten gewesen. Jedenfalls
machte er mich nach einer halbstündigen Unterhaltung zu seinem
Stellvertreter und teilte mir die Leitung der NS-Studenten der vier
Berliner Kunstschulen zu: Staatliche Kunstakademie am Hardenbergplatz,
Staatliche Kunstschule in der Grunewaldstraße, Kunstgewerbeschule
an der Eosanderstraße und eine weitere Kunstgewerbeschule.
Fritz sagte zu mir: „Das ist doch unglaublich, jetzt lässt
sich der Hitler vom Kapital und vom Militär einwickeln, Papen,
Hogenberg – nein, wir wollen ihn doch ein bisschen an unser
sozialrevolutionäres Programm erinnern, machst du mit?“ So
demonstrierten wir vor der Berliner Börse, wir waren vielleicht
30, vielleicht auch 50 Studenten, es war am helllichten Tag, wir
schrien, rissen Steine aus dem Straßenpflaster, ich sehe noch die
Börsenkaufleute aufgeregt hinter den hohen Fensterscheiben, die in
Scherben gingen, hin- und herhuschen. Wir sangen, und erst, als die
Polizei anrückte, verschwanden wir.
Mitte Februar 1933 traf sich die Führerschaft des Berliner
Studentenbundes, in dieser Sitzung berichtete jeder der etwa zehn
Ressourceleiter über sein Arbeitsgebiet. Ich gab Auskunft
über die Lage an Akademie, Kunstschule und den zwei Berliner
Kunstgewerbeschulen. Auffallend war besonders dieses: Nur acht von ca.
300 Studenten der Staatlichen Kunstschule Berlin-Schöneberg waren
Mitglieder des Studentenbundes – trotz inzwischen erfolgter
Machtübernahme Hitlers.
Ich versuchte zu erklären: Abneigung gegen politische
Betätigung sei bei Malern sozusagen berufsüblich. Die meisten
seien absolut desinteressiert, ein kleinerer Teil schwanke zwischen
reservierter Ablehnung und offener Feindschaft, schuld daran sei auch
die mehr als fragwürdige Kunstpolitik der Partei.
Jedenfalls war unsere Mitgliederzahl an keiner anderen Berliner
Hochschule derart gering. „Die müssen wir mal
aufwecken“, so hieß es in der anschließenden
Diskussion, „da ist eine Propaganda-Aktion fällig!“
Aber allen war klar, dass die Teilnehmerzahl verschwindend gering sein
würde, wenn man irgendeine Veranstaltung vorher ankündigt,
daher sollte der Propagana-Trupp unangekündigt und
überraschend während des Unterrichts in der Schule erscheinen
und die Schüler zum Anhören einer Propaganda-Rede aus den
Ateliers zusammentrommeln.
Inzwischen sollte auch dem Gebäude demonstrativ eine Fahne
gehisst werden, dies schien an sich harmlos, aber immerhin war damit
eine gewaltsame Störung des Unterrichts verbunden und niemand
konnte wissen, wie Göring als Reichsinnenminister und wie Rust,
der seit dem 4. Februar kommissarisch preußischer Kultusminister
war, auf ein solches unerbetenes – heute würde man sagen: -
go in – reagieren würden; möglicherweise besonders
heftig, um nicht den Anschein zu erwecken, sie seien gegenüber
Disziplinlosigkeiten aus den eigenen Reihen schwach und nachgiebig,
mithin zur Leitung der ihnen soeben übertragenen hohen
Staatsämter unfähig. Noch bestand ja die Reichsregierung
nicht nur aus Nationalsozialisten. Wegen dieser Bedenken wurde
beschlossen, es sollte auf alle Fälle unklar bleiben, von wem die
Propaganda-Aktion eigentlich ausgehe, daher sollte auch niemand
teilnehmen, der den Schülern und Lehrern der Kunstschule
persönlich bekannt sei, also weder ich noch einer der acht
Kunstschulstudenten, die schon Mitglieder des Studentenbundes waren.
Und da man uns als erste hinterher befragen würde, sollten wir
auch nicht darüber informiert werden, wer die Zusammenstellung und
Leitung des Propaganda-Trupps übernehmen werde.
So weiß ich bis heute nur aus nachträglichem Bericht von
Augenzeugen, dass der aus etwa 15 Studenten einer anderen Berliner
Hochschule bestehende Trupp in „Räuberzivil“, also
teilweise mit Braunhemd und Stiefeln, gekleidet, dass er ins
Schulgebäude einrückte und die Studenten in den Flur
zusammengerufen wurden. Es ergab sich aber die groteske Situation, dass
ausgerechnet an diesem Tage in der Schule die Staatsprüfung
stattfand!, wovon der Anführer des Trupps, da er an einer anderen
Kunstschule studierte, nichts wusste. So fand er zu seiner
größten Überraschung in einem Raum alle Lehrer zu einer
Konferenz unter Vorsitz des Vertreters des Kultusministers Rust
versammelt vor. Kurzerhand forderte er sie auf, ihm zu folgen und sich
für die Dauer der Propaganda-Rede im Windfang des Haupteinganges
der Schule aufzuhalten. Damit wollte er verhindern, dass sie etwa
vorzeitig die Polizei alarmierten.
Merkwürdigerweise begaben sich nicht nur die Lehrer, sondern auch
der Vertreter des NS-Kulturministers widerspruchslos in den Windfang.
Nach der Rede zog der Trupp wieder ab, der ganze Auftritt dürfte
höchstens 20 Minuten gedauert haben. Direktor Kamps ließ die
Fahne aus dem Dachfenster einholen und benachrichtigte telefonisch die
Presse von dem „Überfall“. Die noch nicht gleich
geschaltete „Presse“ brachte die Nachricht natürlich
sehr gern und zwar so formuliert, dass die Teilnehmer als Rowdies
erschienen, die das „im Gang befindliche Examen“ gesprengt
hätten. „Darauf flüchteten die Eindringlinge, worauf
die Prüfung fortgesetzt wurde.“ (Berliner Lokalanzeiger vom
18. und 19.02.1933). Josef Wulff hat in seiner 1966 bei RoRoRo
erschienenen Dokumentation „Die bildenden Künste im Dritten
Reich“ über den 17. Februar 1933 unter der Überschrift
„NS-Studenten randalieren in der Staatlichen Kunstschule“
berichtet und meint, gewisse damals noch geduldete Zeitungen
hätten über den Vorfall
„wahrheitsgemäß“ referiert. Nun, gerade die von
ihm als Beispiel zitierte Zeitschrift „Das Tagebuch“
(25.02.1933) gab den Vorfall durchaus nicht korrekt wieder. Wenn es da
heißt, es seien vier „jüdische“ und
„marxistische“ Prüfungsprofessoren „auf die
Straße gesetzt worden“, so stimmt das einfach nicht. Alle
Professoren standen während der Aktion im Windfang, die Tür
zur Straße hin war so lange, wie die Ansprache an die Studenten
dauerte, verschlossen.
Übrigens muss die ganze Sache den Studenten nicht so schlecht
gefallen haben, denn der damalige Studentenführer der Kunstschule
konnte mir wenige Tage später über hundert freiwillige
Eintrittserklärungen von Kunstschulstudenten melden.
Allerdings: Wie wir befürchtet hatten, reagierten die Minister
Göring und Rust sehr unfreundlich. Fritz Hippler wurde zu
Göring zitiert, Rust ließ eine offizielle Untersuchung
durchführen, aus deren Akten einige in Wulffs Dokumentation
abgedruckt sind. Wie ärgerlich Rust war, zeigte sich darin, dass
vier Kunstschulprofessoren, die mit der Aktion sympathisiert hatten, an
andere Schulen versetzt wurden, was sie – sicherlich mit Recht
– als Strafversetzung auffassten. Nirgends, weder in damaligen
Pressemeldungen, noch in den Akten des Ministeriums oder des
Untersuchungskommissars, noch in Wulffs Dokumentation von 1966 oder in
den „Vierteljahresschriften für Zeitgeschichte“ 1962,
I ist davon die Rede, dass bei der Propaganda-Aktion etwa irgendjemand
mit einer Waffe bedroht worden sei. Gelegentlich wurde viele Jahre
später, z. B. von dem ehemaligen Kunstschüler Heinrich Kaatz
und seinem Freund Dose in Zuschriften an die FAZ (2. Dezember 1967),
derartiges behauptet, vielleicht um den Vorgang hinterher ein bisschen
zu dramatisieren. Es war auch keine Abteilung der SA, wie Kaatz meint,
vor allem aber war es keine Aktion gegen Moderne Kunst, denn einerseits
malten alle Lehrer der Kunstschule mit einziger Ausnahme von Professor
Lahs, gegenständlich, andererseits: Wie hätte wohl das
gleiche Führergremium des Studentenbundes hier an der Kunstschule
gegen und wenig später im Auditorium Maximum der Universität
für die „entartete“ Kunst demonstrieren sollen!
Ich habe mich mal nach dem Krieg mit Heinrich Heckel über unsere
damalige Unternehmung unterhalten und erfuhr zu meiner
Verblüffung, dass er selbst als Examinator dabei gewesen war und
mit im Windfang gestanden hatte.
Er hatte das Ganze humoristisch aufgefasst und wollte auch das
Kollegium der Kunstschule überreden, die in der Situation liegende
Komik zu beachten und über den Vorfall mit Stillschweigen
hinwegzugehen. Aber leider sei Direktor Kamps in seiner ersten
Aufgeregtheit nicht davon abzuhalten gewesen, sofort zum
Telefonhörer zu greifen, „wozu musste er die Sache
überhaupt publik machen,“ sagte Heckel, „wir konnten
es als Studentenstreich, als Bagatelle auffassen, aber nun wurde es zur
„Staatsaktion“ aufgeblasen!“
Natürlich hat Kamps damals und auch in späteren Jahren
immer in mir den „Anstifter“ gesehen. Nun, ich hatte zwar
durch meinen Bericht über die an der Kunstschule herrschende
politische Atmosphäre das Unternehmen ausgelöst, die
spezielle Idee einer Propaganda-Aktion aber war, das kann ich ehrlich
sagen, nicht meinem Kopf entsprungen. Niemand hat auch jemals
behauptet, dass ich persönlich anwesend war, was ja nicht zu
verbergen gewesen wäre, denn Schüler und Lehrer kannten mich,
hier hatte ich studiert, 1931 mein Staatsexamen gemacht, als eine Art
von unbezahltem Assistent des Professors Paatz erteilte ich Berliner
Kindern in einem Raum der Kunstschule zwei Mal wöchentlich
Zeichenunterricht und jeder Student, der sich auf das Referendarexamen
vorbereitete, wurde von Paatz dazu angehalten, sich meinen Unterricht
anzuhören.
Doch ob „Anstifter“ oder „Auslöser“ – genug davon.
-
Dies ist die Geschichte des „berühmten Überfalls auf
die Kunstschule“.
Als ich von Ferdinand Müller erfuhr, dass in Mitteldeutschland
gegen Barlachs Ehrenmal im Magdeburger Dom agiert und Wandgemälde
von Oskar Schlemmer und Charles Crovel übertüncht wurden,
ging ich zu Staatskommissar Hinkel ins Preußische
Kulturministerium. Ich hatte ihn vorher nie gesehen. Ein blonder,
drahtiger und doch etwas weich wirkender Mann in Uniform hinter
ockergelbem Schreibtisch, ich schilderte, was ich gehört hatte und
beschwor ihn, etwas zu unternehmen, damit sich die Partei auf
künstlerischem Gebiet nicht so blamiere. Er hörte mir
aufmerksam zu, wiegte seinen Kopf und schien meine Besorgnis zu teilen.
Trotzdem hatte ich am Ende das Gefühl, dass mein Gang vergeblich
gewesen sei.
Als ich in der Zeitung las, dass die jüdischen Hochschullehrer aus
ihrem Beruf entfernt werden sollten, fiel mir sofort Professor Oskar
Fischel ein. Er war Universitätsprofessor für
Kunstgeschichte, in meinem ersten Semester – 1927 – hatte
ich bei seinen sonntäglichen Museumsführungen einen tiefen
Eindruck von seinem feinen Kunstverstand gewonnen. Bis heute ist mir
unvergesslich, was er vor der Kreuzigung von Konrad Witz, vor
Giorgiones, Brouwers Bildern zu sagen verstand. 1930 kam ich zur
Berliner Kunstschule und hier hielt Fischel allwöchentlich
kunsthistorische Vorlesungen. 1931 prüfte er mich innerhalb meines
Staatsexamens über norddeutsche Backsteingotik. Er war so
gütig, als ich zu meiner großen Beschämung die
Hamburger Nikolaikirche nicht erkannte.
Nun rief ich ihn in seiner Privatwohnung und fragte, ob ich kommen
dürfe. Er wohnte am Rande des Tiergartens in einer sehr
bescheidenen Etagenwohnung. Kleine, mit alten Möbeln und
Bücherregalen überfüllte, dunkle Zimmer. Seine Frau
zierlich, mager, mit großen erschreckten Augen. Er war auch
zierlich von Gestalt, Kopf schmal, gelblicher Teint, unter der hohen
Stirn waren seine Augen, mehr schwarz als braun, immer, auch beim
Aufschauen unter den schweren Augendeckeln wie unter Schalen halb
verborgen. Ein typischer hagerer orientalischer Gelehrter mit
faszinierendem Charme.
Beide waren tief traurig und verschüchtert wegen der für sie
unabwendbaren Entlassung. Ich schämte mich für die Partei.
Sagte, ich wolle ein Gesuch des nationalsozialistischen Studentenbundes
für seine Weiterbeschäftigung einbringen, mit
Unterschriftensammlung, bat um sein Einverständnis und erhielt es.
Er nannte mir Namen und Anschriften von Menschen, die für ihn
eintreten würden, und er gab mir Argumente, die seine konservative
und nationale Gesinnung erwiesen, er war, glaube ich, Kriegsteilnehmer
als Offizier, hatte Artikel in nationalen Zeitungen geschrieben, nach
meiner Erinnerung sogar in der „Kreuzzeitung“ und im
„Tag“, jedenfalls war kein Organ der Linken darunter. Als
ich ging, bedrückt, aber entschlossen, hinterließ ich wohl
einen Hoffnungsschimmer.
Mit Fritz Hippler, der ganz einverstanden war, formulierte ich
das Gesuch, wir unterzeichneten und dann trabte ich quer durch Berlin
und sammelte Unterschriften. Ich entsinne mich, dass ich
Generalmusikdirektor von Schillings auf einer sonnigen
Caféterrasse, vielleicht eines Tennisplatzes, die Liste
vorlegte. Alle unterschrieben, wenn auch manche erstaunt und manche mit
skeptischen Bemerkungen. Blankes Erstaunen äußerte auch der
höhere Beamte im Kultusministerium, dem ich am Ende die Liste
brachte. „Eine nationalsozialistische Organisation reicht eine
Petition für einen Juden ein! Wollen Sie das wirklich tun?“
Wir wollten. Ich hörte dann nur noch Monate später, dass
Fischels Entlassung tatsächlich zurückgenommen worden,
später aber erneuert worden sei. Er sei in die Schweiz emigriert.
Seit meinem Besuch in der kleinen dunklen Wohnung am Tiergarten habe
ich ihn nicht wiedergesehen.
Als Stellvertreter Fritz Hipplers hatte ich am 14. Juni 1933 eine Rede
vor den Berliner Studenten zu halten, und zwar bei ihrer Tagung im
Studentenhaus in der Oranienburger Straße. Mein erster
großer Auftritt in der Öffentlichkeit, und ich war
entschlossen, ohne jede Rücksicht meine Meinung zu sagen: Die
ewigen Aufmärsche, Paraden und Siegesfeiern nach dem
Regierungsantritt Hitlers stünden mir zum Halse heraus, noch mehr
zuwider aber sei mir das Marschieren uniformierter Mädchen.
Für den Mann seien Zusammenschlüsse zur Erreichung gewisser
Ziel im Existenzkampf schließlich notwendig, wobei man auch
Uniformität in Kauf nehmen müsse. Für die Frau aber sei
individuelle Unterschiedlichkeit typisch und naturgemäß, sie
setze sich am liebsten durch Anmut und Charme und eine sehr
persönlich bestimmte Kleidung von allen anderen Frauen ab, hiermit
umwerbe sie den Mann und dies sei auch genau das, was alle Männer
von allen Frauen erwarten. Daher sei der Anblick einer in Reih und
Glied und Gleichschritt einherstampfenden Kolonne uniformierter
Mädchen für einen natürlich empfindenden Menschen
geradezu fürchterlich und tief deprimierend. Damit hatte ich
praktisch die Auflösung des BdM oder zumindest seine Umwandlung in
einen zivilen Frauenverein gefordert. Wenn ich mich recht erinnere,
herrschte nach diesem Beginn meiner Rede atemlose Stille in dem mit
Studenten und Studentinnen bis auf den letzten Platz gefüllten
Saal. Ich glaube, ein Teil freute sich und der große Rest traute
seinen Ohren nicht.
Meine Rede war als kulturpolitische Rede angekündigt und
normalerweise musste man von mir eine Tirade gegen Überfremdung
und Verjudung der deutschen Kunst in der Vergangenheit und für
eine völkische Kunst der Zukunft erwarten. Stattdessen griff ich
die maßgebende Kulturorganisation der Partei, den
„Kampfbund für deutsche Kultur“, mit beabsichtigt
wütender Polemik an:
Alle, die meinten, bisher zu kurz gekommen zu sein, sammelten sich nun
im Kampfbund, arrangierten Schreckenskammern, in denen Moderne Kunst
angeprangert wurde und stellten Schwarze Listen so genannter
undeutscher Künstler auf. Unter sich verteile man die
zukünftigen Posten! Diese Leute meinten, jetzt sei ihre Stunde
gekommen, dabei hätte die überwiegende Mehrzahl von ihnen
aufgrund schwacher künstlerischer Leistung absolut nicht mit
Unrecht bisher im Abseits gestanden. „Damit droht“, so
sagte ich wörtlich, „Gefahr für die Kunst in
Deutschland“. Der Gartenlaubenkünstler und der
Literaturmaler erleben ihre große Zeit, denn der erstere ahmt die
Natur nach und erklärt, das Volk verstehe ihn, der andere malt
germanische Inhalte und erklärt, seine Kunst sei
„völkisch“. Und so maßen sie sich dann an, die
wirklich bedeutenden deutschen Künstler wie Barlach, Nolde und die
Maler der „Brücken“ als volksfremd, als undeutsch, als
entartet zu brandmarken.“ Dies sei ein Vergehen an deutscher
Kultur, der Kampfbund Alfred Rosenbergs erweise sich damit als
Zusammenschluss von Spießbürgern, Wilhelminischen
Reaktionären und übellaunigen Pinselschwingern, die Jugend
der Partei habe mit ihnen nichts im Sinne und werde sich von ihnen
keine nationalsozialistischen Künstler aufschwätzen lassen.
Ich sprach nach Konzept, hatte mir also jeden Satz vorher überlegt
und wusste, wen ich provozierte. Denn Rosenberg war nicht nur
Chefredakteur des „Völkischen Beobachters“ des
Zentralorgans der Partei, er war auch einer der ältesten Freunde
Hitlers und sein Reichsbeauftragter für die gesamte
weltanschauliche und kulturelle Überwachung. Aber die Presse war
anwesend und so sah ich die Chance, hier vor aller Öffentlichkeit
alles auf eine Karte zu setzen.
Die Resonanz bei meiner Zuhörerschaft war, glaube ich,
zwiespältig. Offenbar hatte ich einige Verwirrung angestiftet. Die
Mehrzahl spendete zwar Beifall, aber da es nicht eine Tagung der
Kunststudenten, sondern eine allgemeine Studententagung war, hatten
viele weder Sachkenntnis noch eigenes Urteil in Fragen der bildenden
Kunst. Klar war allen nur mein Angriff auf Rosenbergs
Kulturorganisation und auf die ganze Szene der Paraden, der
pro-militärischen Erfassung der Jugend, der uniformierten
Mädchen. Ich hatte es schwer aus dem Saal und durch die
Knäuel von Diskutanten vor der Tür und auf der Straße
wegzukommen. Fritz hatte meine Rede vorher nicht gelesen, ich hatte den
Eindruck, dass es mir gelungen war, auch ihn zu überraschen. In
der allgemeinen Aufregung kam er nur dazu, mir die Hand zu
drücken. Ich weiß, dass ich noch am Morgen des Tages
geschwankt habe, ob ich ihm den Text zeigen sollte, dann ließ ich
es darauf ankommen, ob er es verlangen würde. Er verlangte es
nicht. Nun, in der Kunstpolitik fühlte ich mich sowieso kompetent,
und was die Wilhelminischen Reaktionäre und das
Pro-Militärische anbetraf, wusste ich mich mit ihm auf gleicher
Linie.
Die ersten Quittungen erhielt ich bald. Meine Mitgliedschaft im
Lehrerbund wurde gestrichen, der „Kampfbund für Deutsche
Kultur“ reagierte, ehe 14 Tage vergangen waren, mit folgendem
Schreiben:
„In der Kreistagung des Kreises X des nationalsozialistischen
deutschen Studentenbundes am 14.06.1933 haben Sie als Leiter dieser
Versammlung, wie uns zuverlässlich berichtet wurde, den Kampfbund,
dem Sie anzugehören die Ehre haben, öffentlich herabgesetzt
und beschimpft. U. a. nannten Sie den Kampfbund eine
„Organisation übellauniger Pinselschwinger“. Sein
Vorgehen gegen Männer Barlach, Heckel, Schmidt-Rottluff und Nolde,
die Sie als Vorkämpfer gegen den französischen
Impressionismus bezeichneten, nannten Sie – „ein Vergehen
an deutscher Kultur“ und forderten Ihre Zuhörer auf, sich
von diesem Bunde keine nationalsozialistischen Künstler
aufschwätzen zu lassen.
Aus dem Ablehnungsschreiben der Organisation an Herrn Nolde, auf dessen
Aufnahmegesuch hin, zitierten Sie dabei einige bezeichnende Sätze.
Wenn Sie glaubten, mit der Ansicht der Leitung Ihres Bundes nicht
einverstanden zu sein, konnten Sie den Weg zu ihr finden, der Ihnen ja
jederzeit offenstand. Dass aber von Ihnen geübte überhebliche
Verfahren und Ihr öffentliches Auftreten gegen den Kampfbund zeigt
einen solchen Mangel an jeder Disziplin, die wir in unserer Bewegung
fordern, dass wir Sie aus unseren Reihen hiermit ausschließen
müssen. Wenn Sie unseren Führer Hitler bei dieser Gelegenheit
Ihres Vertrauens würdigten, so sei Ihnen noch mitgeteilt, dass er
unseren Entscheidungen in Kulturfragen voll und ganz beipflichtet.
Mit deutschem Gruß:
Ramms
i. A. Süssmann“
Dieses Schreiben, datiert auf den 27. Juni 1933, hielt ich am 28.
Juni in den Händen, während vor mir auf dem Tisch schon der
Text einer weiteren Rede lag, die ich am 29. Juni im Auditorium Maximum
der Berliner Universität halten würde.
Mit Fritz Hippler war ich kurz nach der Kreistagung darin einig
geworden, dass wir sofort nachfassen und uns noch nachhaltiger an die
Öffentlichkeit wenden wollten, zumal wir erfuhren, dass Rosenberg
an allen Hoch- und Fachschulen Gruppen des „Kampfbundes für
deutsche Kultur“ hatte gründen lassen. Als Ort unserer
Demonstration wählten wir das Auditorium Maximum der Berliner
Friedrich-Wilhelm-Universität. Wir ließen rote,
hochformatige Plakate drucken in großen Lettern „JUGEND
KÄMPFT FÜR DEUTSCHE KUNST“, darunter als Redner Fritz
Hippler, Dr. von Leers, der Schulungsleiter des Studentenbundes und ich.
Tagelang klebten diese Plakate an allen Berliner
Litfasssäulen, außerdem wurden persönliche Einladungen
verschickt. Meine Rede hatte ich am Abend vor der Kundgebung auf
einigen Seiten eines Diariums heruntergeschrieben, im Grunde nur
weiterentwickelt, was ich schon in der Oranienburgerstraße gesagt
hatte. Ich wollte sie wiederum selbst verantworten; sie Fritz vorher zu
zeigen fehlten auch Zeit und Gelegenheit. Das Auditorium Maximum war
überfüllt, sogar in den Gängen und an der Wand hinter
den Bänken drängten sich die Menschen. Ich saß in der
vordersten Reihe, in der Brusttasche die herausgerissenen Seiten des
Diariums.
Im Stillen befürchtete ich, Fritz oder Dr. von Leers
würden sich, verleitet durch den Titel unserer Kundgebung, mit
Problemen der bildenden Kunst befassen. Mit keinem von beiden hatte ich
jemals Malerei der „Brücke“ oder einen Nolde gemeinsam
betrachtet und ihre Meinung darüber gehört. Und so war ich
absolut nicht sicher, ob sie die Expressionisten als „Bahnbrecher
einer typisch deutschen Kunst“ – gegenüber dem
Impressionismus – ansehen würden. Aber meine
Befürchtung erwies sich als unberechtigt. Fritz Hipplers Rede
gipfelte in einer an die Öffentlichkeit gerichteten
Entschließung, in der die Forderung aufgestellt wurde, „die
radikale Erneuerung müsse nicht nur den wirtschaftlichen und
politischen, sondern auch den kulturellen Bereich erfassen. Die Gefahr
liege nun darin, dass man in engstirniger Weise wertvolle deutsche
Künstler ausschließe und bevorzugt an sich achtbare
Männer zur Mitarbeit heranziehe, die „einen Wilhelminischen
Akademismus mit nationaler Kunst verwechseln und durch keinerlei
persönliche künstlerische Eignung das Ausmaß der von
ihnen angemaßten Kompetenzen rechtfertigen.“ Namen von
Künstlern oder Stilrichtungen nannte er nicht, aber die Richtung
war klar und unmissverständlich, wie schon bei unserer
Demonstration vor der Berliner Börse und in unserer Kundgebung
„Arbeiter und Student auf dem Tempelhofer Feld“
(Poststadium) in politischer Hinsicht gegen den Hugenberg-von
Papen-Kurs Hitlers, so auch nun in der Kulturpolitik gegen jede Form
der Restauration und Reaktion gerichtet, gegen eine mögliche
Verbürgerlichung der von uns als Freiheitsbewegung verstandenen
Partei, also gegen jeden programmatischen Dogmatismus und gegen jede
Intoleranz auf individuellem und vor allem auf intellektuellem Gebiet.
Zu Beginn seiner Rede waren im Hintergrund des Saales einige
Randalierer laut geworden, offensichtlich Abgesandte des
„Kampfbundes für deutsche Kultur“. Vielleicht hatten
sie gehofft, in der Masse der Besucher irgendeine Resonanz zu finden,
das war nicht der Fall. Fritz erklärte kurz und bündig, wenn
die Störenfriede – es konnten nur zwei oder drei sein
– nicht Ruhe gäben, werde er sie aus dem Saal werfen lassen.
Danach war tatsächlich Ruhe, der kleine Zwischenfall kam der
Atmosphäre der Kundgebung zugute, der Beifall war so stark und
lang anhaltend, dass er jeden weiteren Versuch eines Widerspruchs
entmutigen musste.
Dr. von Leers schlug in dieselbe Kerbe: Der geistige Kampf um die
Erneuerung Deutschlands habe eben erst begonnen, dabei könne man
nicht auf die großen, einsamen Wegbereiter verzichten, auch wenn
die Zukunft wieder über sie hinausführen würde,
keinesfalls dürfte der Wilhelminischen Restauration das Feld
überlassen werden. Auch er zielte eindeutig gegen eine aus der
deutschnationalen Ecke kommende bürgerliche Einengung und
Festlegung auf geistigem und kulturellem Gebiet.
Zu meinem Erstaunen – ich wusste vorher nichts davon –
wurden dann einige Thesen kunsthistorischer Art zur Verteidigung der
Moderne verlesen, die sich sehr gut in die Kundgebung einpassten, der
Verfasser, so hieß es, wolle ungenannt bleiben. Ich erfuhr
hinterher, dass sie von Dr. Schwark, der unter dem Pseudonym Dr. Esra
Kunstkritiken für den „Angriff“ schrieb, stammten.
Damit war für mich klar, warum er nicht genannt werden wollte,
denn der „Angriff“ war die Parteizeitung für den
Berliner Bezirk, das Organ von Dr. Goebbels.
Dann war es für mich soweit, ich kam aufs Podest und legte
die losen Blätter meines Diariums vor mich aufs Rednerpult.
Ich weiß, dass ich meine Ablehnung von militärischem Gehabe
in Siegesfeiern und Aufmärschen und meine Aversion gegen die
Uniformierung von Mädchen beiseite ließ, denn dies war ja
gemäß ihrem Titel eine kunstpolitische Demonstration. Der
Wiener Kunstkritiker Dr. Dargel berichtete in „Der Tag“
(Nr. 157), es bestehe kein Zweifel, „dass hier mit gerechter
Empörung eine Jugend aufstand. Eine Empörung, die besonders
aus den Sätzen Otto Andreas Schreibers, des jungen Malers,
hervorbrach. Man muss wissen, mit welchen Mitteln gegen die lebendige
Kunst der Gegenwart von Leuten angegangen wurde, die von
„Zukunft“ sprachen und das „Vorgestern“
meinten, um die gewiss nicht zarten Angriffe Schreibers verstehen zu
können.“ Und „... so scholl aus Schreiber das
Bekenntnis eines Künstler zu Emil Nolde, wie man es in der
Öffentlichkeit bisher wohl überhaupt noch nicht in einer
Versammlung gehört hatte.“
Ich ging von der Sorge aus, die alle künstlerisch
interessierten Menschen in diesen Tagen bewegte.
„Der Versuch der kunsthistorischen Dogmenbildung durch
unschöpferische Menschen liegt wie ein Albdruck auf allen jungen
Künstlern unserer Bewegung.“ Ich sprach von den Angriffen
auf Barlachs Ehrenmal im Magdeburger Dom, vom Übertünchen von
Wandgemälden Schlemmers und Grodels, von denen in der Provinz
eingerichteten „kunstbolschewistischen Schreckenskammern“,
in die man auch Bilder bedeutender deutscher Künstler wie Heckel,
Schmidt-Rottluff, Nolde und Rohlfs gehängt habe. Ich kam wieder
auf die Schwarzen Listen zu sprechen, die in den Reihen des
„Kampfbundes“ aufgestellt würden und ein komplettes
Verzeichnis aller als „undeutsch“ erachteten Künstler
ergeben sollten. Ich sparte nicht mit Verbalinjurien gegen die Leute,
die ich hier am Werk sah: Missgünstige Dilettanten,
Akademiker-Walhalla und Schlachtenmaler, kurz, alle – auch die
mit vollem Recht – Erfolglosen, dazu Laien, die sich einfach ein
Urteil in Kunstdingen anmaßten. Ich weiß noch, dass ich
mehrmals schon mitten in einem Satz von derartig starkem und langem
Beifall unterbrochen wurde, dass ich danach den Satz noch einmal von
vorn beginnen musste. Weil ich dies bisher bei Ansprachen oder
Vorträgen, die ich in meiner jugendbewegten Zeit hier und da
gehalten hatte, noch nie erlebte, ist es mir so deutlich im
Gedächtnis geblieben. Ich spürte, wie die Erregung im Saal
stieg, wie die Begeisterung bei jedem Beifall zunahm, als wüsste
mein Publikum, was ich riskierte, und wollte mir deshalb
Rückenstärkung geben. Und tatsächlich fühlte ich
mich wie getragen, gestoßen, vorwärts gerissen bis ans Ende
der Rede.
Den Kern meiner Ausführungen habe ich in den Tagen danach
mit einem Satz von Hans Thoma als Motto und einem einleitenden Satz von
mir als Vorspann versehen und an die Deutsche Allgemeine Zeitung
geschickt, denn nach dem riesigen Erfolg der Kundgebung wollte ich
sozusagen noch „nachhaken“ und das, was ich im
überfüllten Auditorium Maximum gesprochen hatte, nun einer
möglichst großen weiteren Öffentlichkeit bekanntgeben.
Dadurch ist meine Rede erhalten geblieben, ich ließ nur den
Anfang, die Erwähnung der „Schreckenskammer“, der
Schwarzen Listen und der Maßnahmen gegen Moderne Künstler in
Mitteldeutschland fort, denn dies alles war aus Zeitungsmeldungen den
Lesern schon bekannt und der Artikel wäre für das Feuilleton
der DAZ zu umfangreich geworden. Außerdem, weil es nicht mehr zu
meinen kunsttheoretischen Ausführungen gehörte, ließ
ich fort, was ich nach Schluss meiner Rede bekanntgab: Ich
erklärte schlichtweg alle von Alfred Rosenberg an den Berliner
Hoch- und Fachschulen gegründeten Gruppen des „Kampfbundes
für deutsche Kultur“ für aufgelöst.
Mir war nicht ganz wohl dabei, ich ahnte, dass ich nun mein Risiko auf
die Spitze trieb, ich hatte das Gefühl, in die Tiefe zu springen,
aber ich glaubte, es mir selbst schuldig zu sein, dass ich springen
müsse.
Im Saal herrschte atemlose Stille, jedermann wusste, dass dies eine
offene Kampfansage an einen der ältesten Weggenossen und Freunde
Hitlers war, an den Leiter der Kulturpolitik in der Partei und damit im
Reich an den Chefredakteur des Zentralparteiorgans
„Völkischer Beobachter“. Schließlich stellte ich
in Aussicht, dass wir in Berlin zwei Ausstellungen veranstalten
wollten, eine Ausstellung von Werken solcher Moderner Künstler,
die wir für qualitätvoll und daher für
schutzbedürftig hielten – und eine Ausstellung von Werken
nationaler „Kitschmaler“.
Dann brach der Schlussbeifall los, ich kam nicht dazu das Rednerpult zu
verlassen, so war es von Menschen umringt, die klatschten, mir die
Hände drückten – ich war wie betäubt. Und dann
stand Geheimrat Justi vor mir, der Direktor der Nationalgalerie, dieser
aristokratische Mann mit dem schönen, schmalen
Gelehrtenschädel, den ich schon seit Jahren aufgrund eines Buches
mit guten Texten über bestimmte Werke seiner Sammlungen verehrte
– ich entsinne mich der Abbildung eines Wasserglases mit Blumen
von Manet –, er nahm meine beiden Hände in die seine und
sagte: „Diese Rede müssen Sie in vielen Städten
Deutschlands halten, und ich persönlich will diese Ihre
Vortragsreise finanzieren.“ Er sah mich groß an, ich gab
sein Blick zurück, seine Begeisterung machte mich verlegen, ich
antwortete ihm: „Gewiss, gewiss, sehr gern. Nur glaube ich, dass
man dies verhindern wird, ich werde wohl keine Gelegenheit dazu
haben.“
Wie ich den Abend und die nächsten Tage verbrachte, weiß ich
nicht mehr. Jedenfalls versah ich meine Rede mit dem Thoma-Motto und
einem Einleitungssatz und gab ihr in Abwandlung des Titels der
Kundgebung („Jugend kämpft für deutsche Kunst“)
die Überschrift „Bekenntnis der Jugend zur deutschen
Kunst“, und schickte sie zum Abdruck an die „Deutsche
Allgemeine Zeitung“. Sie erschien am 10.07.1933 und hier ist sie:
Bekenntnis der Jugend zur deutschen Kunst
von Otto Andreas Schreiber
„Die schlimmsten Feinde der künstlerischen
Entwicklungen sind die, welche nicht verstehen, dass sie etwas nicht verstehen.“
(Hans Thoma)
Der ungeteilte, freudige Widerhall, den die
nationalsozialistischen Studenten Berlins durch ihre Kundgebung gegen
Kunstreaktion im Auditorium Maximum bei allen, denen die Freiheit und
die Größe der deutschen Kunst am Herzen liegt, gefunden
haben, zeigt schlaglichtartig eine Situation auf, wie sie sich
erfahrungsgemäß nach jeder Revolution herausbildete: Der
Versuch der kunsthistorischen Dogmenbildung durch unschöpferische
Menschen, die in einer machtpolitischen Durchsetzung ihrer Doktrinen
den einzigen Ausweg aus dem Dunkel eines zum großen Teil
eingebildeten Martyriums zu finden hoffen, liegt wie ein Alpdruck auf
allen jungen Künstlern unserer Bewegung, die noch den vollen
Glauben an die Kräfte des eigenen Blutes und an die
Möglichkeit des eigenen Talents besitzen. Das Lebenselement der
Kunst ist die Freiheit, und wenn der Laie im Kraftgefühl
politische Erfolge glaubt, mit außerkünstlerischen Mitteln
die Kunst aufhalftern und nach Belieben leiten zu können, so wird
ihm die bittere Enttäuschung nicht erspart bleiben, dass man die
Kunst erdrosselt, wenn man sie nicht wachsen lässt. Alles, was
Qualität ist im Bereich der künstlerischen Leistung, bleibt
von Vorgängen äußerer Art unangetastet. Was in der
Demokratie an nur ästhetischen, amüsanten oder
ausländischen Kunstprodukten durch politischen Einfluss Mode war,
verschwand zugleich mit der Änderung des politischen Einflusses am
30. Januar spurlos und widerstandslos, weil es nicht die Waffen der
Qualität zur Verfügung hatte. Von Dauer ist nur die
Qualität. Eine Generation kann, ihr eigenes Ansehen
schädigend, irgendwelche Qualität totschweigen, auszurotten
ist sie nicht, da sie die Geschichte überdauert.
Man hat Rembrandt Jahrhunderte lang für einen Unwert gehalten,
seine Kunst war stärker als diese Jahrhunderte. Darum ist es
nutzlos, als Maßstab das Urteil des Laien anzurufen: „Ein
einfacher SA-Mann würde davor den Kopf schütteln.“
Damit ist nichts bewiesen: So menschlich es ist, den Grund für ein
solches Versagen nicht bei sich selbst, sondern beim Kunstwerk zu
suchen, ebenso scharf muss der Künstler und muss selbst die Kunst
es ablehnen, das Verständnis oder die Verständnislosigkeit
des Laien als endgültigen Richter über Wert oder Unwert
anzuerkennen. Wenn nun dazu gesagt wird „ein einfacher
SA-Mann“, so soll damit gesagt sein: Das „Volk“, man
verlangt also sogar bei der Kunstbeurteilung das demokratische Prinzip.
Obwohl die Kunst das schwierigste Gebiet ist, wählt das man
bequemste Prinzip. Logischerweise könnte man dann über
Kunstwerke abstimmen lassen. Der einfache SA-Mann schüttelt auch
den Kopf, wenn er Präludien von Bach hört, während ihn
Löwe begeistert. Man muss also wohl schon gelten lassen, das oft
gerade ganz außergewöhnliche geniale Leistungen auch
außergewöhnliche Anforderungen an den Beschauer stellen. Es
ist das schwierigste Problem künstlerischen Schaffens
überhaupt, möglichst große, aus dem Inneren einer
Persönlichkeit wachsende Gestaltungskraft mit der
Wirkungsfähigkeit auf möglichst viele Beschauer zu verbinden.
Gerade darum aber ist es für die Kultur der Nation besonders
gefährlich, wenn der Politiker geneigt ist, die
Wirkungsfähigkeit auf die Masse zum alleinigen Maßstab der
Kunstbeurteilung zu erheben. Dadurch räumt man nämlich den
fotographischen Talenten, Naturnachahmern und Effekthaschern einen
verheerenden Vorsprung vor der unbeirrbaren, ernsten Kunst, die den
Maßstab ihrer Qualität lediglich in der Reinheit ihrer
Absichten sucht, ein. Der Gartenlaubekünstler und der
Literaturmaler erleben ihre große Zeit, denn der erstere ahmt die
Natur nach und erklärt, das Volk verstehe ihn, der andere malt
germanische Inhalte und erklärt, seine Kunst sei
„völkisch“. Nichts ist nämlich leichter, als den
Laien über Mängel oder auch das völlige Fehlen von
Gestaltungswerten hinwegzutäuschen.
Andererseits ist das Volk auf keinem Gebiet so gern bereit, sich leiten
und erziehen zu lassen, wie auf dem Gebiet der bildenden Kunst. Es ist
ja eine bekannte Erscheinung, dass sich ein Kunstwerk oft erst nach
langer Zeit dem Beschauer offenbart, dann aber auch Schönheiten
aufweist, die vorher kaum zu vermuten waren. Nicht zuletzt nämlich
liegt die Schwierigkeit darin, dass – wie der Wert von Farbe und
Form von der Qualität des Künstlers, und zwar des Menschen
und des Auges abhängt – die Frage des Erkennens dieser Werte
ebenfalls eine Frage der menschlichen und optischen Qualität des
Beschauers ist. Aus diesem Grunde werden sich der Masse folglich die
Werte der Gestaltung kaum leicht erschließen, und die
Führung und Erziehung der Masse zur Kunst wird damit zur
Verpflichtung für alle, denen der tiefe Ernst der Kunst
müheloser zugänglich ist. Daher ist die Forderung einer
billigen Volkstümlichkeit ein zwar wohl berechneter, aber
irreführender Losungsschrei der Gartenlaubekünstler.
In Sowjet-Russland hat diese verbrecherische Anwendung des Begriffs der
Volkstümlichkeit auf die Kunst gesiegt und zur unumstrittenen
Herrschaft des Kitsches geführt. Dort ist also ein klares Resultat
des Versuches, das Volk zum endgültigen Richter über
Kunstwerke zu erheben, vorhanden. In Deutschland sind wir der gleichen
Gefahr ausgesetzt. Hier wird die Front des Kitsches noch durch die
Versuche einer Restauration des Wilhelminischen Klassizismus und eines
völkisch getarnten Impressionismus verstärkt. Der
nationalsozialistische Student hat mit sicherem Instinkt die Gesamtheit
dieser Bestrebungen, durch die der Politiker nur zu leicht
getäuscht werden kann – denn sie appellieren an die
Bequemlichkeit – als Kunstreaktion gekennzeichnet und dagegen
eine revolutionäre Kunstgesinnung gefordert. Die Ausmaße der
Seele unseres Volkes bestimmen sich – Gott sei Dank – nicht
nach der Enge der Seele des „verkannten Genies“. Was wahr
ist und das Kennzeichen der Qualität hat, rehabilitiert sich in
der Geschichte immer durch sich selbst. Und wahr ist, dass im Bereich
der bodenständigen deutschen Kunst die Erdgebundenheit der
Ostdeutschen, die lebendige Beschwingtheit der Westdeutschen, die
formale Reife der Süddeutschen, von der hellen, zarten Kunst des
Sachsen Heckel von der leuchtenden Lebensfreude, des Sachsen
Schmidt-Rottluff, von der dunklen Kraft des Friesen Barlach und der
dämonischen Mystik des Friesen Emil Noldes nicht zu trennen sind,
wie man nicht wesentliche Glieder von einem lebendigen Körper
trennen kann, wenn man nicht mit ansehen will, dass sein Herzblut
entströmt.“
Deutsche Allgemeine Zeitung (DAZ 1933, Nr. 287)
Nach der Kundgebung, die von nun in den Verlautbarungen der Partei und
in der Presse als „Berliner Studentenrevolte“ bezeichnet
wurde, gingen bei uns von verschiedenen Universitäten und
Akademien Zustimmungserklärungen ein. Der Text eines Telegramms
aus Halle ist erhalten geblieben, weil wir ihn der Presse zur
Veröffentlichung übergaben: „Die Hallische
Nationalsozialistische Studentenschaft erklärt ihr begeistertes
Einverständnis mit der Kundgebung der Berliner
Nationalsozialistischen Studenten gegen Kunstreaktion. Der Kampf des
SA-Mannes auf der Straße darf auf kulturellem Gebiet nicht
verraten werden. Es lebe die vollständige nationalsozialistische
Revolution!“
Gez. Schimmerohn
Es folgten aufregende Tage. Anrufe, Briefe, Besuche und Einladungen
häuften sich, eine Welle der Sympathie schlug uns, nicht nur aus
den kunstinteressierten Kreisen Berlin, aus allen Richtungen des Landes
entgegen. Professor Max Sauerlandt, der Direktor des Hamburger Museums
für Kunst und Gewerbe kündigte seinen Besuch an. M. Mermino
schrieb an mich: „Ich habe eben mit Herrn Marck“ (Erbauer
des Berliner Stadions) „gesprochen. Er interessiert sich für
Ihren Kampf und will Sie gerne kennenlernen. Rufen Sie ihn doch an und
vereinbaren Sie eine Zusammenkunft...“, ich kam nicht dazu.
Schmidt-Rottluff schrieb noch nach 15 Jahren am 20.01.1948 an Fritz
Hippler: „Sie haben sich damals mit hinreißendem Mut
für die gefährdeten „entarteten“ Künstler
eingesetzt; es war die großartigste Demonstration gegen die
Kunstpolitik des Dritten Reiches. Dass Sie nichts zu verhindern
vermocht, kann die Kühnheit ihres damaligen Bekenntnisses nicht
mindern.“
Bis auf den heutigen Tag wird unsere Aktion in allen
einschlägigen Publikationen der Nachkriegszeit gewürdigt.
Ausgiebig behandelt wird sie in Hildegard Brenners „Die
Kunstpolitik des Nationalsozialismus“ (Rowohlt, Hamburg 1963, S.
65 – 86), ebenso in den Vierteljahresheften für
Zeitgeschichte (1. Heft/Januar 1962, Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart,
S. 17 – 42). Kürzer behandelt wird sie in Rave
„Kunstdiktatur im Dritten Reich“ (Verlag Gebrüder
Mann, Hamburg 1949, S. 33, 39, 47), immer wieder kommt Franz Roh in
„Entartete Kunst“ (Fackelträger-Verlag, Hannover 1962)
auf den Seiten 23, 50, 93, 98 auf unsere Demonstration zurück,
dabei berichtet er, wie sie 1934 in der Schweizer Presse von Hans
Eckstein „gepriesen“ worden sei. Nur ist es ein Irrtum,
wenn er von Eckstein übernimmt, dass ich mein freies Wort nur
„wagen“ konnte, weil ich „Leiter der Jugendabteilung
des Kulturamtes der Arbeitsfront“ gewesen sei. Dieser Fehler in
der Darstellung findet sich auch in Raves Buch, der ihn wohl ebenfalls
von Hans Eckstein bezogen hat. Abgesehen davon, dass das Kulturamt der
Arbeitsfront nie eine „Jugendabteilung“ gehabt hat: Ich war
tatsächlich zur Zeit unserer „Studentenrevolte“ nichts
anderes als der Stellvertreter des Berliner Studentenführers Fritz
Hippler.
Weitere Literatur, die mir zur Kenntnis gekommen ist, wäre Max
Sauerlandt „Die Kunst der letzten 30 Jahre“
(Rembrandt-Verlag, Berlin 1935) Seite 174, 193;
Oskar Schlemmer „Briefe und Tagebücher“ (Verlag Albert
Langen, Georg Wüller München 1958), Seite 313 und 315.
Wie reagierte die Partei? Wir durften uns keine Illusionen machen, das
war klar. Es konnte eigentlich alles passieren. Zuerst einmal rief, als
ich mich mit Fritz in seinem winzigen dunklen Hinterzimmer unterhielt,
Prinz August Wilhelm von Preußen an. An Hipplers eisernem
Gesicht, an seinen sarkastischen Zwischenfragen, an seinem mehrfachen
Versuch zu argumentieren, der aber offenbar immer wieder unterbrochen
wurde, merkte ich, dass der Anrufer sehr erregt sein müsste.
Schließlich sagte Fritz: „Es ist zwecklos. Ich nehme Ihre
Ansicht zur Kenntnis, Herr von Preußen!“ – Er hielt
noch einen Moment den Hörer in der Hand –
„unverschämt, jetzt hat er einfach aufgelegt!“
„Was war los?“ wollte ich wissen.
„Jetzt weißt du es: Wir sind nichts als dumme Jungen, was
wir uns eigentlich einbilden, er wird uns schon das Handwerk legen! Ob
ich verantwortlich sei. Nun, dann wolle er mir nur sagen, dass ich ein
ganz dummer, eingebildeter Schnösel sei. So ein Prolet. Lässt
mich einfach nicht zu Wort kommen und knallt dann den Hörer
auf!“
„Du hast ihn ja auch nicht mit kaiserlicher Hoheit tituliert“, sagte ich.
„Wie käme ich dazu. Natürlich nicht. Von Preußen,
das steht ihm seit 1918 zu, mehr nicht. Ich muss schon sagen, das war
ein besonderes Erlebnis. Vielleicht ist bei dem noch einmal die
Wildheit der Raubritterahnen durchgebrochen, die den Ruf seiner Firma
begründet haben!“
Prinz August Wilhelm, ein Sohn Wilhelms II., vertrat sozusagen in der
Partei die Hohenzollern. Er war als Parteiredner aufgetreten, hatte es
in der SA zum Gruppenführer gebracht – in der SA nannte man
ihn einfach Auwi – und es war bekannt, dass er ein Schüler
von Professor Arthur Kampf gewesen war und Rosenstillleben gemalt
hatte. Arthur Kampf war für uns der Prototyp Wilhelminischer
Hofmalerei, unvergesslich ist mir der spiegelnde Glanz auf den
Messingknöpfen eines lebensgroßen Portraits, das ich in
einer Ausstellung der „Preußischen Akademie der
Künste“ sah.
Dabei fällt mir ein, dass ich in meiner Rede im Auditorium Maximum
ja wörtlich gesagt hatte: „In Deutschland sind wir der
gleichen Gefahr ausgesetzt. Hier wird die Front des Kitsches noch durch
die Versuche einer Restauration des Wilhelminischen Klassizismus und
eines völkisch getarnten Impressionismus verstärkt.“ Es
ist ganz klar, dass Prinz Auwi die Gleichsetzung von
„Kitsch“ und „Wilhelminisch“ furchtbar
ärgern musste! Der „Wilhelminische Akademismus“ war
auch in der bei der Kundgebung verlesenen Resolution erwähnt, und
sie wurde nicht nur vom „Tag“ in vollem Wortlaut
abgedruckt, kaum eine Zeitung ließ sich diese Kurzformel für
das, was wir ablehnten, entgehen.
Und dann noch mit „Herr von Preußen“ angeredet zu
werden: Wirklich, ich muss verstehen, dass er wütend war! Rave
nimmt an, dass Prinz Auwi sich Hoffnungen machte, in
Kunstangelegenheiten des Dritten Reiches führend zu werden. Sicher
hatte er gute Beziehungen zu dem Weltkriegsflieger Göring
beispielsweise, zur SA, zu Ministerien! Irgendeine Rolle in der
Kunstpolitik hat er nicht gespielt, doch sein Anruf erfolgte meiner
Erinnerung nach von einer höheren Stelle aus, von welcher
allerdings, das weiß ich nicht mehr.
Am 10.07. war mein Artikel, also der Hauptteil meiner Rede, im
Auditorium Maximum in der DAZ erschienen. Am 14.07. gab Alfred
Rosenberg in einem Vierspalter des „Völkischen
Beobachter“ darauf die Antwort. Er zitierte darin 49
zusammenhängende Zeilen meines Artikels und ließ sie sogar
in Type und Grad originalgetreu setzen.
Die Überschrift lautet:
Revolutionäre an sich!
von Alfred Rosenberg
„Mein Aufsatz im „Völkischen Beobachter“
über die Revolution in der bildenden Kunst hat u. a. eine
Entgegnung in einer Berliner Zeitung zur Folge gehabt, die nicht
unwidersprochen bleiben kann. Ein Revolutionär an sich kämpft
in diesem Artikel gegen eine so genannte Kunstreaktion und klagt
darüber, dass man wachsende Kunst „erdrosseln“ wolle.
Diese Art der Polemik angesichts der freien Betätigung jener
Künstler, welcher vom Einsender in Schutz genommen werden, mutet
uns durchaus bekannt an: Wir haben nämlich auf politischem Gebiet
schon eine Otto-Strasser-Richtung gehabt und bekämpft und wie wir
glauben, zum Nutzen der Bewegung. Es wurde damals auf politischem
Gebiet das Revolutionäre an sich begeistert gefeiert. Es gab
überhaupt nichts, was nicht gestürzt werden sollte, und ob
auch die wildesten Gedankenkombinationen durcheinander liefen, so
betrachtete sich das Otto-Strasser-Lager der „Schwarzen
Front“ als den eigentlichen Vertreter des revolutionären
nationalsozialistischen Menschen“.
Die weder an der Gründung, noch an der jahrelangen Arbeit in
der nationalsozialistischen Weltanschauung groß geworden waren,
maßten sich an, ihre bisher ohne Widerhall gebliebenen
subjektivistischen Anschauungen einfach in die große Bewegung
hineinzutragen und diese Ansichten als allein nationalsozialistisch
auszugeben. Einige Studenten in Berlin versuchten nun auf dem Gebiet
der bildenden Kunst das Gleiche zu tun und alle jene, welche von der
vergangenen Ära hoch gelobt und von allen Galerien des
untergegangenen Systems gekauft wurden, als die eigentlichen
Revolutionäre unserer Bewegung auszugeben. Ich habe mich in meinem
Aufsatz mit zwei von den Künstlern, mit Nolde und Barlach,
beschäftigt und obgleich ich mir bewusst bin, dass weder der eine,
noch der andere groß genug ist, in dem Zentrum entscheidender
Auseinandersetzungen zu stellen, so habe ich die beiden doch genannt,
weil sie von der revolutionären „Gruppe“ besonders
protegiert werden. Ich habe vor allen Dingen auf die Verhöhnung,
die dem deutschen Charakter durch das Barlachsche so genannte
Kriegerdenkmal in der Magdeburger Domkirche hingewiesen. (Hier fehlt
das Satzende). Den Satz, das angesichts dieser halbidiotischen
Gestalten ein einfacher SA-Mann ebenso urteilen werde wie der bewusste
Künstler, versucht nun die revolutionäre Einsender, der sich
ausgerechnet die greisenhafte DAZ aussucht, mit folgenden
Ausführungen zu beantworten:
„Man hat Rembrandt Jahrhunderte lang für einen Unwert
gehalten, seine Kunst war stärker als diese Jahrhunderte. Darum
ist es nutzlos, als Maßstab das Urteil des Laien anzurufen:
„Ein einfacher SA-Mann würde darüber den Kopf
schütteln.“ Damit ist nichts bewiesen: So menschlich es ist,
den Grund für ein solches Versagen nicht bei sich selbst, sondern
beim Kunstwerk zu suchen, ebenso scharf muss der Künstler und muss
selbst die Kunst es ablehnen, das Verständnis oder die
Verständnislosigkeit des Laien als endgültigen Richter
über Wert oder Unwert anzuerkennen. Wenn nun dazu gesagt wird
„ein einfacher SA-Mann“, so soll damit gesagt sein:
„Das Volk“, man verlangt also sogar bei der
Kunstbeurteilung das demokratische Prinzip. Obwohl die Kunst das
schwierigste Gebiet ist, wählt man das bequemste Prinzip.
Logischerweise könnte man dann über Kunstwerke abstimmen
lassen. Der einfache SA-Mann schüttelt auch den Kopf, wenn er
Präludien von Bach hört, während ihn Löwe
begeistert. Man muss also wohl schon gelten lassen, dass oft gerade
ganz außergewöhnliche, geniale Leistungen auch
außergewöhnliche Anforderungen an den Beschauer stellen.
Es ist das schwierigste Problem künstlerischen Schaffens
überhaupt, möglichst große, aus dem Innern einer
Persönlichkeit wachsende Gestaltungskraft mit der
Wirkungsfähigkeit auf möglichst viele Beschauer zu verbinden.
Gerade darum aber ist es für die Kultur der Nation besonders
gefährlich, wenn der Politiker geneigt ist, die
Wirkungsfähigkeit auf die Masse zum alleinigen Maßstab der
Kunstbeurteilung zu erheben. Dadurch räumt man nämlich den
fotographischen Talenten, Naturnachahmern und Effekthaschern einen
verheerenden Vorsprung vor der unbeirrbaren, ernsten Kunst, die den
Maßstab ihrer Qualität lediglich in der Reinheit ihrer
Absichten sucht, ein. Der Gartenlaubekünstler und der
Literaturmaler erleben ihre große Zeit, denn der erstere ahmt die
Natur nach und erklärt, das Volk verstehe ihn, der andere malt
germanische Inhalte und erklärt seine Kunst sei
„völkisch“. Nichts ist nämlich leichter, als den
Laien über Mängel oder auch das völlige Fehlen von
Gestaltungswerten hinwegzutäuschen.“
Interessant an dieser kindlichen Polemik ist die naive
Gleichsetzung Rembrandts mit Nolde und Barlach, etwas, was ja nicht
selten geschieht, wenn man Unzulänglichkeiten die Kraft
großer Genies zuschreiben möchte. Unverzeihlich aber ist das
Zitat aus meinem Aufsatz. Der Einsender macht sich hier ganz
unmittelbar einer Fälschung schuldig. Es heißt nämlich
nicht, ein einfacher SA-Mann werde vor „Barlachs Denkmal“
den Kopf schütteln, sondern „angesichts des Werkes“
steht im Artikel folgendes: „Ich glaube, jeder gesunde SA-Mann
wird hier das gleiche Urteil fällen wie der bewusste
Künstler.“
Es ist hier also mit Absicht der instinktiv gesunde Mensch zusammen
genannt mit dem ausübenden Künstler, um die Willens- und
Charaktergemeinschaft auszusprechen! An diese Fälschung des
Einsenders knüpft dann der kulturelle Otto Strasser die obigen
Ausführungen mit dem mangelhaften Hinweis, dass ich offenbar nur
mit Politik zu tun hätte, ohne von Kunst etwas zu begreifen. Mir
ist unbekannt, ob dieser Einsender sich mit bildender Kunst
fruchtbringend befasst hat, ich meinerseits seit meinem 15. Lebensjahr
mit Malerei und Architektur. Ich glaube, dass es dem Herrn Einsender
sehr nützlich gewesen wäre, das zweite Buch meines Werkes
„Der Mythos des 20. Jahrhunderts“ zu lesen, da hier eine
Philosophie der Ästhetik der Germanen geliefert worden ist, die
gerade die Willenhaftigkeit des deutschen Volkes gegenüber der
bisherigen klassizistischen Ästhetik herausstellt. Ebenso niedrig
im Niveau ist der Hinweis, als ob hier eine Gartenlaubenkunst und
Literaturmalerei gefördert würden, was im genannten Werk,
eindeutig begründet, schon längst erledigt ist und in meinem
angegebenen Aufsatz noch ausdrücklich unterstrichen worden ist.
Die Herren Revolutionäre an sich bedienen sich in ihrer Polemik
einer besonderen Methode: Indem sie dem Angegriffenen falsche Motive
und falsche Absichten zuschieben und diese Absichten dann mit einem
falschen revolutionären Pathos bekämpfen.
Es wäre
schlecht um die deutsche Kunst bestellt, wenn die Eigenarten
schaffender Künstler (deren subjektivistische Verschiedenheit wir
nicht etwa bekämpfen, sondern begrüßen) in die
propagandistische Hand derartiger unreifer Menschen fallen würden.
Die nationalsozialistische Revolution umfasst das gesamte Leben des
deutschen Volkes, sie ist organisch sowohl auf politischen, als auch
auf wirtschaftlichem Gebiet und sie wird auch die Aufgabe lösen,
die Ewigkeitswerte der deutschen Kunst mit den Ausdrucksformen unserer
Zeit zu verbinden. Es wäre traurig, wenn heute schon alles fertig
vorliegen sollte, viel mehr freuen wir uns darüber, dass uns noch
viele Jahre bevorstehen, die der geistigen und seelischen Ausgestaltung
unserer Erhebung dienen werden. So, wie wir den wirklichen Sänger
des großen Krieges, den wirklich gestaltenden Dramatiker der
deutschen Freiheitsbewegung noch nicht besitzen, so erwarten unsere
Baukünstler, Bildhauer und Maler noch große Aufgaben
für die Zukunft und niemand wird froher sein als wir, wenn aus
diesen großen Spannungen sich junge Kräfte herauslösen
und, sei es anfangs auch noch unvollendet, diesem Suchen Gestalt geben.
Wir wollen auch keine heute schaffenden Menschen irgendwie knebeln,
sondern wollen den ganzen Prozess der Auslese und Ausmerze dem
flutenden deutschen Volke überlassen, müssen aber für
den Fall, dass einige Kulturliteraten, die vor einem halben Jahr
für Fidus unendlich schwärmten und heute die so genannte
Dämonie Barlachs loben, den guten Rat geben, erst innerlich
auszureifen und die Aussprache auf kleinere Kreise zu beschränken,
als bereits in der Öffentlichkeit Sturm gegen eine so genannte
Kunstreaktion zu laufen und sich damit zum Verteidiger von
Persönlichkeiten zu machen, die bereits als Heroen des alten
Systems erschienen sind, nicht nur politisch, sondern gerade
kulturell.“
[Ende des Artikels „Revolutionäre an sich“ von Alfred Rosenberg, Völkischer Beobachter 14.07.1933]
Dies allerdings nun, mich auf die geistige Linie von Otto Strasser zu
versetzen und mich geradezu als den „kulturellen Otto
Strasser“ zu bezeichnen, bedeutete für mich unmittelbare
Lebensgefahr. Denn Strasser hatte zehn Jahre lang zur
Führungsspitze der Partei gehört, hatte sich zu ihren
erbittertsten Gegnern entwickelt, hatte im Dezember 1932 mit Hitler
gebrochen und war noch rechtzeitig vor Hitlers Machtübernahme ins
Exil nach Prag, später nach Amerika geflohen. Es ging das
Gerücht, es sei ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, man konnte ihn
den Trotzki Hitlers nennen. Sein Bruder Gregor, für den Hippler
und ich eine stille Verehrung hatten, wurde anlässlich des
„Röhmputsches“, also genau ein Jahr später, in
der Nacht des 30. Juni 1934, ermordet.
Von da an betrat ich meine Wohnung nicht mehr, ich wechselte mehrmals
mein Nachtquartier. Wo ich campierte, ob im Café Ernst oder bei
Onkel Behnke, dem Drogisten, der aus der Koschneiderei stammte, oder
bei Freunden – weiß ich nicht mehr. Jedenfalls entschloss
ich mich nach einigen Tagen zu dem Versuch, die Gefahr ein bisschen zu
neutralisieren, ich ging in eine öffentliche Telefonzelle und rief
Alfred Rosenberg, den ich persönlich nicht kannte, an.
Ich sagte ihm, ich könne von meinen Auffassungen nicht abgehen und
auch kein Wort meiner Ausführungen in der DAZ zurücknehmen.
Aber ich habe ihn anrufen müssen, um ein Missverständnis
auszuräumen. Er habe meinen Artikel als Polemik gegen einen
Aufsatz aus seiner Feder im V. B. angesehen, ebendies aber treffe nicht
zu, denn mein Artikel gebe meine am 29. Juni in der Universität
gehaltene Rede wieder und habe, davon könne er sich durch Anruf
bei der DAZ überzeugen, in deren Redaktion schon vorgelegen, ehe
sein Aufsatz im V. B. erschienen sei. Außerdem hätte ich mit
meiner Version vom „einfachen SA-Mann“ die entsprechende
Passage seines Aufsatzes attackieren wollen, so hätte ich ihn auch
exakt zitiert, ob er mir das nicht glauben wolle.
Er hatte mir schweigend zugehört. Nun sagte er, dies habe ihn auch
besonders gewundert, und die textliche Abweichung bei einer durch
Anführungszeichen als wörtliches Zitat ausgegebenen Wendung
habe ihn besonders erregt. Dies müsse ich meinerseits verstehen.
Die übereinstimmende Bezugnahme auf das Kunsturteil des
„einfachen SA-Mannes“ sei für ihn eindeutig gewesen.
Er sprach sehr ruhig und konziliant, mit seiner dunklen Stimme und
seinem baltischen Akzent. Aber er schien noch zu zweifeln. Darum
fügte ich hinzu, die Formulierung, was wohl der „einfache
SA-Mann“ zur Modernen Kunst sage, sei zurzeit bei
kunstpolitischen Diskussionen Gang und Gebe, vor allem in
Parteikreisen, dies wisse er doch, ich hätte auch Laie, Arbeiter,
Mann aus dem Volk sagen können, aber man operiere eben heute
dauernd mit dem so genannten „einfachen SA-Mann“. Es sei
einfach ein zufälliges Zusammentreffen, das sowohl er wie ich
diesen Ausdruck verwendet hätten. Mein diesbezüglicher Satz
sei überhaupt kein Zitat, sondern ein fingiertes, aber häufig
vorgebrachtes Argument bei Diskussionen, daher von mir in
Anführungszeichen gesetzt. Wenn er die Stelle meines Artikels
nochmals lese, werde ihm das ganz klar sein. Wenn aber nicht, so
müsse ihn die nachprüfbare Tatsache, dass mein Artikel
beträchtliche Zeit vor dem Erscheinen seines Aufsatzes druckfertig
vorgelegen habe, davon überzeugen, dass ich ihn, selbst wenn ich
es gewollt hätte, gar nicht habe zitieren können; er habe
mich also zu Unrecht einer unverzeihlichen bewussten Fälschung
beschuldigt. Deshalb habe ich ihn anrufen müssen, denn wenn an
unseren unterschiedlichen Kunstauffassungen nichts zu ändern sei,
so könne ich doch seinem Vorwurf einer bewussten Fälschung,
die er auch noch als unverzeihlich bezeichnet, nicht auf mir sitzen
lassen.
„Einen Augenblick“, sagte er, „ich nehme noch
einmal Ihren Artikel zur Hand.“
Ich wartete, war froh, dass niemand sonst vor der Telefonzelle stand.
Eine Zelle zwischen Straße und Trottoir mitten am hellen Tag.
Rosenberg saß in der Redaktion des V. B. Ich hörte ihn
blättern. Dann war seine dunkle Stimme wieder da.
„Es ist möglich, dass Ihre Darstellung zutrifft. Ich sehe
nun, vielleicht habe ich zu schnell reagiert. Aber als ich das
frühmorgens las – Sie müssen verstehen, es lag nahe
– es gab für mich keinen Zweifel –“
„Aber ich versichere Ihnen, ich habe Sie nicht zitiert
–“
„Gut, dann nehme ich das zur Kenntnis.“
Als ich aus der Telefonzelle kam, hatten sich meine Befürchtungen
etwas beruhigt. Natürlich, meine Verdammung der Kunstpolitik der
Partei, die Auflösung seiner Kampfbundgruppen an den Hochschulen,
die ich mir angemaßt hatte, vor allem, dass er mich als eines
Geistes mit Otto Strasser hingestellt hatte – all das war
geblieben. Immerhin, ich hatte mit ihm gesprochen; Wenn er
Maßnahmen gegen mich persönlich veranlasst hätte oder
veranlassen wollte, hätte er dies aus Fairness vielleicht
erwähnt.
So getraute ich mich nach einigen Tagen, den Hauswart meiner Wohnung zu
fragen, ob eine Erkundigung nach mir erfolgt sei. Es war nicht der
Fall. Nach dem massiven Angriff Rosenbergs wurden in allen
Parteizeitungen und zeitschriften ähnliche Attacken geritten. Eine
besonders amüsante habe ich mir aufgehoben.
Sie erschien im „Berliner Norden“ am 12. Juli 1933.
Studenten kämpfen für bolschewistische Kunst
Das offizielle Organ der norddeutschen Lehrerschaft, die
„nationalsozialistische Erziehung“, nimmt in ihrer Ausgabe
Nr. 13 vom 10. Juli 1933 in bezeichnender Form zu der Versammlung
junger Studenten Stellung, in der u. a. der Künstlerbund Norden,
die Vereinigung der Pankower und Niederschönhauser
Künstlerschaft, in höchstmerkwürdiger Weise angegriffen
wurde. Der Künstlerbund Norden hat seinerseits zu der
Angelegenheit Stellung genommen. Es ist aber auch erfreulich, dass
maßgebende nationalsozialistische Greise sich mit der Art, in der
die Studentenschaft vorgehen zu müssen glaubte, nicht
einverstanden erklärt. Der Artikel der
„Nationalsozialistischen Erziehung“, dem wir nachstehend
Raum geben, rückt jedenfalls höchsteindeutig von den
Machenschaften ab, mit denen gewissenlose Greise anscheinend versuchen,
das gesunde Streben der künstlerischen Jugend von heute nach einer
neuen deutschen Kunst auf ein falsches Gleis zu schieben. DIE REDAKTION
Hermann Dames schreibt in der „Nationalsozialistischen
Erziehung“:
„Waren das wirklich alles junge deutsche Menschen, die sich da am
29.06. im Auditorium Maximum der Universität zusammengefunden
hatten, um sich sagen zu lassen, was sie unter deutscher Kunst zu
verstehen hätten?
Schwarzhaarige, bleiche Bohemiens, denen man den jüdischen
Einschlag auf hundert Schritte ansah, und kurz geschorene Mädel
ähnlicher Type sind doch nicht die prominenten Vertreter unserer
deutschen Jugend, die noch nicht ausgestorben ist und die sich die
Bevormundung dieser deutsch übertünchten Jugendführer
gefälligst verbittet. zwei junge Leute, Fritz Hippler und Otto
Andreas Schreiber, letzterer bereits durch seine Machwerke in modernen
Ausstellungen bekannt, hatten die Stirne, sich als Führer der
deutschen Jugend zu gebärden und sich als Vorkämpfer für
deutsche Kunst in das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu
stellen. Das war gut so, denn nun ist ihr dunkles Handwerk in
Unterminierung echten deutschen Kunstgefühls erkannt und wird ihr
gefährliches Treiben unschädlich gemacht. Ihr Kampf ist schon
verloren, ehe sie ihn begonnen haben.
Die Flagge der nationalsozialistischen Studenten musste dazu herhalten,
die wissentlich verbrecherischen Anschläge auf die deutsche Kunst
zu tarnen. Die vom Führer mit Entrüstung
zurückgewiesenen Machwerke eines Nolde, Heckel, Rottluff und
ähnlicher Sudelmaler wurde als die einzig mögliche deutsche
Kunst der Zukunft gefeiert. Mit einer Frechheit sondergleichen, gepaart
mit Größenwahnsinn, lehnten diese Jünglinge, die noch
nicht einmal gezeigt haben, dass sie mit dem Bleistift umzugehen
verstehen, die großen Künstler der Vorkriegszeit als
Kitschmaler ab und entblödeten sich nicht, in schamloser Weise
alle älteren Künstler in Bausch und Bogen als wilhelminische
Trottel zu beschimpfen. Ein Adolf Menzel, Leibl, Thoma, Schwind, Eduard
von Gebhardt, Feuerbach, Klinger, Stuck und andere stehen zu hoch, als
dass man das Gebell dieser modernen Großmäuler ernst nehmen
könnte. Man tut diesen Jämmerlingen zu viel Ehre an, wenn man
ihre Machwerke, die weder handwerkliches Können noch seelischen
Inhalt verraten, als Werke revolutionärer Kunst bewerten wollte.
Diese „Kunst“ steht der Seele des Volkes unendlich fern.
Kennt weder Schönheit, noch Wahrheit der Gestaltung, noch ist sie
der Ausdruck eines berechtigten Ringens nach hoher, reiner Kunst. Was
uns hier als die neue revolutionäre Kunst aufgeschwatzt werden
soll, ist in Wirklichkeit nichts anderes als die stereotype Nachahmung
ihrer kunstbolschewistischen Götzen, wie wir sie bis zum Ekel in
den Kunstausstellungen der Nachkriegszeit gesehen haben. Nur vollkommen
verblödete Spießer, die von einer planmäßigen
Zersetzung wertvoller deutscher Kultur noch niemals etwas gehört
hatten, konnten auf die Sirenengesänge dieser Volksverräter
hereinfallen. Sie nennen sich Sezessionisten und mit Recht. Sie haben
sich abgesondert von ihrem Volk, stehen absichtlich außerhalb der
Volksgemeinschaft und erkennen keine Verpflichtung und keine Bindung
gegen ihre Volksgenossen an. Sie sind asozial trotz aller ihrer
scheinbaren Gleichschaltung und sind aus dem in Genesung befindlichen
deutschen Volkskörper als Gift auszuscheiden. Die Günstlinge
der Novemberverbrecher und ihre senilen Nachäffer, von den
geschäftstüchtigen Juden Cassierer und Flechtheim auf Kosten
des deutschen Steuerzahlers in Gold umgemünzt, sind entlarvt und
wir verbitten es uns, dass sie uns im neuen Deutschland den längst
abgetakelten Kunstbolschewismus als „die deutsche Kunst“
mit ihren bekannten jüdischen Machtmitteln, Presse und Gold,
wieder aufzuzwingen wagen. Der Wille des Führers ist jedem
wirklichen Nationalsozialisten heiliges Gesetz. Wie auf politischem
Gebiet der staatsfeindliche Kommunismus mit Stumpf und Stiel ausgemerzt
wird, so ist es ein Gebot der Staatsnotwendigkeit, den
Kulturbolschewismus in jeder Form, besonders auf dem Gebiete der
bildenden Kunst aus dem Volksleben auszuschalten und jede
öffentliche zur Schaustellung der die Volksseele zersetzenden
Kunstprodukte zu verbieten.“
Ich nehme an, dass es um den 20, Juli herum geschah, dass Fritz
und ich unserer Ämter enthoben und aus dem nationalsozialistischen
Studentenbund ausgeschlossen wurden.
Von nun an figurierte ich in der Parteipresse als
„Kunstbolschewist“. Ich kann das nur insoweit belegen, als
ich damals Presseausschnitte zu Gesicht bekam, aufbewahrte und
über die Zeit hinweggerettet habe.
An ihnen sieht man auch, wie die „Studentenrevolte“
durch die Jahre hindurch nicht vergessen wurde und fortwirkte.
Da der „Studentenbund“ nun durch unsere Ausschaltung auf
die Kulturlinie der Partei gebracht war, erschien 1935 in der Nr. 16
der „Deutschen Studentenzeitung“ eine Abrechnung unter der
Überschrift „Ein frecher Vorstoß der jüdischen
Kulturbolschewisten“, im gleichen Jahr 1935 bezog der
„Westdeutsche Botschafter“ Stellung („Gegen die
Kunstreaktion“), die Zeitung „Die Bewegung“ im Jahre
1936 in ihrer Nr. 34 („Kulturelle Anarchie“). Das
„Reichsorgan der SA“ („der SA-Mann“) am 15.
August 1936, die Zeitschrift „Das Bild“ am 2. Februar 1937
(„In frecher Sabotage gegen die nationalsozialistische
Kunstpolitik“).
In allen diesen Artikeln werde ich mit vollem Namen angeprangert.
Als ich im Jahre 1936 die „nicht öffentlichen
Fabrikausstellungen“ der Arbeitsfront von einem Büro der
„Reichskammer der bildenden Künste“ aus leitete, gab
mir eines Tages ein Angestellter der Reichskammer, ich glaube, es war
Dr. Benno Griebert, der ganz auf unserer Seite stand, vertraulich die
Abschrift eines mehrseitigen Dokuments, das – wie er mir sagte
– als interne Information an alle Reichsdienststellen der Partei
gegeben worden sei. Wer der Verfasser sei, könne er nicht sagen,
er vermute aber, dass es sich um Dr. Walter Hansen handele.
Nun, das glaube ich auch, denn Hansen war dafür bekannt,
dass er mit besonderer Hartnäckigkeit Dr. von Leers verfolgte,
außerdem finde ich in der im Verlag F. Müller (Karlsruhe)
herausgegebenen Zeitschrift „Das Bild“ in der Nummer vom
02.02.1937 einen Artikel „Verbotene Bücher“ und da
heißt es über Max Sauerlandts „Die Kunst der letzten
30 Jahre“:
„Ja, auf diesen Seiten begrüßt dieser Kunsthistoriker ungemein das Ergebnis des von Dr. Johann von Leers Ende Juni 1933 inszenierten NS-Studentenputsches in der Aula der Berliner Universität, der in frecher Sabotage gegen die nationalsozialistische Kunstpolitik der Bewegung gerichtet war.“
(Das Unterstrichene ist im Original gesperrt)
„Bekanntlich hatten seinerzeit die von Otto Andreas
Schreiber und Dr. von Leers aufgeputschten Studenten, ohne die
Tragweite ihrer Forderungen zu bedenken, gegen Leibl, Thoma,
Böcklin und für Schmidt-Rottluff, Nolde, Heckel, Dix, Hofer,
Pechstein und all die anderen Kulturbolschewisten gestimmt (vgl.
Deutsche Allgemeine Zeitung vom 1. Juli 1933). Diese bedauerliche
Entgleisung einer verhetzten Studentenschaft wird mit Begeisterung von
Sauerlandt und Weigelt in ihren Machwerken zur Rechtfertigung der
Verfallskunst aus den letzten 30 Jahren ausgewertet und es werden deren
völlig verfehlte Folgerungen angeschlossen.“
Der Artikel, aus dem dieser Auszug stammt, ist mit Walter Hansen
gezeichnet. Abgesehen nun davon, dass die Namen Leibl, Thoma,
Böcklin und die Namen Dix, Hofer und Pechstein in unserer
Kundgebung nicht gefallen sind, entspricht es auch nicht den Tatsachen,
dass Dr. von Leers den Studentenputsch „inszeniert“ habe.
Diese sonst nirgends zu findende Falschdarstellung steht nun auch mit
gleichem Vokabular in der „internen Information“. Es ist
einfach die persönliche Wut Hansens auf Dr. von Leers, die ihn zu
der historisch falschen Behauptung hinreißt, Leers sei der
„Leiter“ des „Aufruhrs“ der Studenten gewesen.
Auffallend ist die in „Bild“ und in der
„Information“ übereinstimmende Version vom
„inszenierten Studentenputsch“.
„NS-Studentenputsch im Juni ’33 gegen die kunstpolitischen
Ziele der nationalsozialistischen Bewegung von Dr. von Leers, Otto
Andreas Schreiber und Fritz Hippler (vgl. DAZ vom 01.07.1933).“
Dann eine Seite lang Polemik gegen Dr. von Leers, der den
Vorgeschichtler Herman Wirth gegen Angriffe aus der Feder Hansens (die
entsprechende von Hansen verfasste Schrift wird hier genannt)
verteidigt hatte. Daher also Hansens Zorn. Er fährt dann fort:
„Dr. von Leers geht aber in dem von ihm inszenierten
Studentenputsch Ende Juni ’33 weit über seinen
Aufgabenbereich hinaus, ja, er fällt mit diesem Unternehmen sogar
unserer Bewegung einfach in unerhörter Weise in den Rücken.
Der Verlauf der Protestkundgebung der NS-Studentenschaft ist mit dem
Begriff „Studentenputsch“ leider nur zu gut gekennzeichnet.
Ein offener Aufruhr ist unter Leitung von Dr. von Leers und der
Mitwirkung eines der gefährlichsten Kunstbolschewisten Otto
Andreas Schreiber, in der Berliner Universität entfacht worden.
Die verheerenden Auswirkungen sind nicht ausgeblieben. Die Tatsachen
eines offenen, gegen die kunstpolitischen Ziele der Bewegung
gerichteten Protestes der NS-Studentenschaft im Auditorium Maximum der
Berliner Universität ist in die Presse und das Schrifttum
eingegangen (vgl. DAZ vom 1. Juli ’33). Die Kunsthistoriker und
Professoren Weigelt, Schardt, Sauerlandt haben in ihren Büchern
zur Rechtfertigung der Verfallskunst diesen Studentenputsch
überaus freudig als gesunde, fanatische und nationalsozialistische
Gegenaktion gegen die übrigen Kunstziele der Begegnung
begrüßt und in eindeutiger Darstellung diese an sich
schmachvollen Begebenheit einen wirkungsvollen Schlag gegen die
Kunstpolitik des Führers und Rosenberg geführt. Der von dem
Putschisten entfachte Geist hat an deutschen Kunstschulen überall
im Reich Wurzeln gefasst. In offener Reaktion gegen die Kunstpolitik
der Bewegung wird mit eiserner Energie seitens dieser meist getarnten
Kunstbolschewisten heute noch erbittert gekämpft. Otto Andreas
Schreiber ist inzwischen auf eine maßgebliche Stelle berufen
worden. Er hat als Verbindungsmann der deutschen Arbeitsfront zu
Reichskulturkammer Kunstausstellungen in großen Betrieben und
Werken zu organisieren (Siemens). Er stellt dabei bewusst Vertreter der
Verfallskunst und seine engsten Freunde heraus. In einer Gruppe mit der
irreführenden Bezeichnung „Der Norden“ haben sich
Schreiber, Weidemann (Vizepräsident der Filmkammer), Stermann,
Benkert und Philipp zusammengeschlossen. Bei der judenknechtischen
Kunsthandlung Nierendorf, am Schöneberger Ufer, bei Möller in
unmittelbarer Nähe und in der Kunsthandlung von der Heide zeigen
sie ebenso wie in den verschiedensten großen deutschen
Städten nur als dilettantisch und kunstbolschewistisch zu
bezeichnenden Machwerke, die mit deutscher oder gar nordischer Art
nichts zu tun haben.
Dr. von Leers musste wissen, dass er mit gefährlichen Leuten in
einer Protestkundgebung die kunstpolitischen Ziele unserer Bewegung in
einer einfach unverständlichen krassen Form auf das Schwerste
bekämpfte.
Mit der Wahrheit nimmt es Dr. Walter Hansen nicht genau. Sein Aufsatz
„Verbotene Bücher“ in „Bild“ enthält
zwei falsche Darstellungen, hier ist die Zahl der Unwahrheiten noch
größer.
Dr. von Leers hatte mit Kunstpolitik überhaupt nichts zu tun,
wurde von Fritz Hippler, in dessen Händen selbstverständlich
die Leitung der Kundgebung lag – denn er war ja der
Studentenbundsführer – lediglich gebeten, sich mit einer
Rede, die sich gegen Restauration und Reaktion richtete, zu beteiligen.
Dass ich in den Fabrikausstellungen meine engsten Freunde
herausgestellt hätte, ist nicht wahr. Von den Mitgliedern unserer
Künstlergruppe „Der Norden“ war nur Benkert mit einer
Portraitzeichnung, die den Kopf Ernst Barlachs darstellte, vertreten.
Nie ist auch nur eine einzige meiner eigenen Arbeiten in
einer der mehreren tausend von mir organisierten Fabrikausstellungen gezeigt worden.
Niemals haben wir in der Galerie Nierendorf ausgestellt.
Wer war dieser Dr. Hansen? Ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen. So
leidenschaftlich und hartnäckig er mich auch verfolgt hat, alle
Jahre des Dritten Reichs hindurch, so sehr widerstrebt es mir doch, ihn
nun meinerseits zu charakterisieren. Dies ist in der Dokumentation
„Die bildenden Künste im Dritten Reich“ von Josef Wulf
(rororo 1966) ausreichend geschehen, besonders auf den Seiten 396
– 404. Aber mit all diesen literarischen Beispielen bin ich der
Zeit vorausgeeilt. Ich kehre zurück zu den Tagen im Juli 1933 in
die Woche nach unserer Kundgebung in der Berliner Universität.
Unsere in meiner Rede angekündigte Ausstellung Moderner Künstler musste arrangiert werden.
Ferdinand Möller erzählte mir, als ich zu ihm kam, von einem
Referenten im Propagandaministerium, der Maler sei, bei Thorn-Prikker
studiert habe und mich kennenlernen wolle, er sei als Besucher bei
unserer Kundgebung gewesen und teile absolut meine Ansichten.
So lernte ich denn in diesen Tagen Hans Weidemann kennen, durch ihn
seine Freunde, die Maler Peter Stermann und Benkert, ich meinerseits
machte sie mit meinem alten Freund Wilhelm Philipp bekannt. Stermann
war – wie Weidemann – Rheinländer (in der Wohnung von
August Hoff sah ich Jahre nach dem Krieg ein schönes Frauenbildnis
von seiner Hand, künstlerisch fühlte er sich – glaube
ich – Schmidt-Rottluff verbunden, aber seine Malerei war sehr
eigenständig, kraftvoll und dabei sehr vornehm und empfindsam in
der Farbigkeit, er arbeitete sehr langsam, sehr ernsthaft, sehr
intensiv. Josef Albert Benkert war Franke, hatte aber eine
künstlerische und persönliche Beziehung zu Christian Rohlfs,
er malte impulsiv, vielleicht kann man seine Malerei mit
„expressiver Impressionismus“ andeutend kennzeichnen.
Philipp war am Bauhaus Dessau Schüler von Kandinsky und Klee
gewesen, mit mir zusammen dann Schüler von Oskar Moll in Breslau
und von Otto Müller.
Mit Müller zusammen bereiteten wir die Ausstellung
„Dreißig deutsche Künstler“, veranstaltet vom
nationalsozialistischen deutschen Studentenbund, vor. Mir schwebte vor,
dass Ernst Barlach als Ehrenpräsident der Ausstellung figurieren
solle, aber auf mein Schreiben an ihn hin erhielt ich eine Absage,
Müller gab mir den Brief, der an mich, aber über die Galerie,
adressiert war. Auf mehreren Briefseiten begründete Barlach seine
Entscheidung. Meiner Erinnerung nach bekundete er vollstes
Einverständnis mit unseren Absichten, wollte aber nicht
persönlich in dieser Form hervorgehoben werden, weil es dem
Gebrauch, an den er sich sein Leben lang gehalten habe, widerspreche.
Vielleicht stieß er sich daran, dass die Ausstellung von einer
NS-Organisation veranstaltet wurde, vielleicht wollte er – fast
täglich in der Parteipresse als Bildhauer östlichen
Untermenschentums „angegriffen“ – nun nicht noch
seine Gegner besonders provozieren. Das Eintreten für ihn bei der
Kundgebung in der Universität hatte ihn tief berührt, noch
1936 gab er seinem Dank Ausdruck, indem er mir durch seinen
Sekretär Böhmer sein lithographiertes Portrait als Geschenk
überbringen ließ.
Es wäre schön, wenn ich seinen Absagebrief heute noch
hätte, gerade weil er seine Auffassungen des Längeren
entwickelte, ich las ihn stehend und war etwas deprimiert, und als
Müller sagte: „Könnten Sie mir den Brief nicht lassen
– ich sammle nämlich Künstlerbriefe“, war ich
ohne weitere Überlegung einverstanden.
Immerhin, von Barlach wurden natürlich Werke aus dem Bestand
Müllers gezeigt. Ich verfasste das Vorwort zum Ausstellungskatalog.
Die Zeitung „Der Mittag“ vom 10. Juli 1933 druckte
daraus folgende Sätze ab:
„In einer Zeit, die nicht ohne wesentliche Gefahren für die
Kultur der Nation ist, haben die nationalsozialistischen Studenten
Berlins und Nordostdeutschlands dreißig deutsche Künstler zu
einer Ausstellung eingeladen. Aktiv greift damit die Jugend in die
kulturelle Auseinandersetzung ein.
Für Gerechtigkeit gegenüber der Leistung!
Für die Freiheit der deutschen Kunst.“
Die Ausstellung zeigte Werke von Nolde, Müller,
Schmidt-Rottluff, Heckel, Rohlfs, Kanold, Lenk, Schrimpf, Kaus, Marc,
Macke, Barlach, Lehmbruck, Kolbe, Marcks, Scheibe, Harth, Pechstein,
Sass, Paatz, von Hauth, Pankok, Partikel, Herbig, Hoffmann, Domscheit
– damit waren die „prononciertesten
Kunstbolschewisten“ versammelt, und da Müller darauf
bestand, wir müssten nun zur Bekundung der Solidarität der
Jungen mit der Schar der angegriffenen Alten auch selbst mit
ausstellen, einigten wir uns darauf, dass auch von uns Fünfen,
also von Weidemann, Stermann, Benkert, Philipp und mir je entweder ein
größeres oder zwei kleinere Bilder gezeigt werden sollten.
Wir müssen damals schnell gearbeitet haben, denn am 29. Juni war
unsere Kundgebung in der Universität vom Stapel gelaufen, am 22.
Juli wurde die Ausstellung „30 deutsche Künstler“
eröffnet.
Dass sie in Berlin größtes Aufsehen erregte und einen
ungeheuren Besucherzustrom zu verzeichnen hatte, wird nach Lage der
Dinge niemand verwundern.
Schon drei Tage später, am 25. Juli, wurden sie vom
Reichsinnenminister Dr. Frick verboten. Ein Zutritt war nicht mehr
möglich, zwei SS-Posten bewachten den Eingang der Galerie.
Natürlich wollten wir nicht kapitulieren, aber Fritz Hippler und
ich konnten nichts gegen das Verbot unternehmen: Genau in den Tagen,
als die Ausstellung eröffnet wurde, hielten wir die Schreiben, in
denen wir unserer Ämter enthoben und aus dem NS-Studentenbund
ausgeschlossen wurden, in unseren Händen.
Hans Weidemann dagegen, Referent im Propagandaministerium, konnte
aktiv werden. Er legte bei Goebbels Protest gegen das Verbot ein
– und – so berichtet Weidemann – „fragte ihn,
wer denn Kunstminister sei, er oder Frick. Goebbels, unsicher geworden
und witternd, dass er eventuell Schwierigkeiten mit Hitler bekommen
würde, forderte mich auf, meine Bilder aus der Ausstellung zu
entfernen. Aber ich weigerte mich mit dem Argument, dass es weder Herrn
Frick noch irgendjemanden etwas anginge, was und wie ich male und mit
wem ich ausstellte; das sei meine Privatsache. Um mit Sicherheit die
Wiedereröffnung zu erreichen, rief ich Reichsinnenminister Frick
an.
“
Für dieses Telefonat Weidemanns mit Frick gibt es
merkwürdigerweise einen Zeugen. Er heißt Hans-Thomas
Brockmann und hatte damals im Juli 1933 Weidemann in seinem
Dienstzimmer in der Vossstraße aufgesucht und sein Telefonat
miterlebt. Als nun Gerhard Löwenthal im ZDF-Magazin am 2. Dezember
1970 Weidemann in Verbindung mit der Erhängung zweier
italienischer Partisanen zu bringen versuchte (wofür
Löwenthal respektive das ZDF vom Gericht mit hoher Geldstrafe
belegt wurde), erinnerte sich Brockmann an jenes Telefonat und schrieb
am 31. Dezember 1970 unaufgefordert einen Brief, in dem er Weidemann
seinen damaligen Besuch in der Vossstraße ins Gedächtnis
ruft:
„Unschwer war zu erraten, dass Ihr
Gesprächspartner der Reichsminister Frick war. Das Gespräch
wurde von beiden Seiten immer heftiger. An den unüberhörbaren
Lautfetzen Ihres Gesprächspartners war leicht die Brisanz
betreffend des Objektes zu erkennen. Das Ende der sehr
temperamentvollen Auseinandersetzung ist mir fast wörtlich in
Erinnerung geblieben: „PG. Frick, machen Sie nur so weiter, dann
können Sie alle Maler, Bildhauer, überhaupt jeden, der in der
bildenden Kunst wirklich etwas zu sagen hat, in Paris, London, Amerika,
der Schweiz, Stockholm oder sonst wo suchen, nur nicht mehr bei uns in
Deutschland.“ (Unterstreichung im Original) Damit knallten Sie
– ohne ein Abschiedswort an den Minister – den Hörer
auf die Gabel. Leider ist Ihre Voraussage eingetroffen.“
Soweit der Brief Brockmanns.
Weidemann fügt hinzu: „Was aber Brockmann nicht hören
konnte, war Fricks Schlusssatz: „Die Ausstellung bleibt
geschlossen, und merken Sie sich: Was Kunst ist, bestimmt einzig und
allein der Führer.“
„Mit dem damaligen Staatssekretär Walter Funk, meinem
einzigen Bundesgenossen im Propagandaministerium, schaffte ich es, dass
Goebbels nun Frick gegenüber, auf seine Zuständigkeit
verweisend, die Ausstellung wieder freigab.“
Dies der Bericht Weidemanns. In der Tat verschwanden einige Tage
später die SS-Posten vor der Galerie Möller, die Ausstellung
konnte wieder besucht werden. Der NS-Studentenbund durfte aber nicht
mehr als Veranstalter firmieren.
In jenen bewegten Tagen gründeten wir fünf (Weidemann,
Stermann, Benkert, Philipp und ich) die Künstlergruppe „Der
Norden“. Mit dem Namen wollten wir andeuten, dass wir auf der
Linie der Expressionisten, deren Ausdruckskunst wir in der Gotik
grundgelegt sahen, nicht aber auf der Linie Griechenland-München
arbeiten wollten. Außerdem schien uns der Name „Der
Norden“ eine willkommene Sicherung gegenüber der Partei zu
sein. Den Umschlag des Katalogs zeichnete Philipp. Ich schrieb das
Vorwort, worin es heißt: „Wir lehnen jede pedantische Norm,
Formalismus, Intoleranz und Abstempelung ab.“ Anlässlich der
ersten Ausstellung des „Nordens“ gegen Ende 1934 gab
Ferdinand Möller eine Mappe mit je einer Originalgrafik von jedem
Gruppenmitglied heraus. Ausstellungen der Gruppe fanden dann in den
Berliner Galerien Ferdinand Möller und von der Heyde, sowie in
verschiedenen anderen Orten, in der Düsseldorfer Galerie Alex
Vömel, in der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau,
Dürerbund Osnabrück, Suermondt-Museum Aachen, Hamburger
Kunstverein, Kasseler Kunstverein (Januar 1935), Frankfurter
Kunstverein, Württembergischer Kunstverein Stuttgart, Kunstverein
Hannover (1936) und andere.
Von 1937 ab konnte die Gruppe nicht mehr unter dem inzwischen
berüchtigten Namen „Der Norden“ ausstellen.
Im Laufe des Sommers 1933 hatten alle Zeitschriften, die für
Moderne Kunst eingetreten waren, ihr Erscheinen eingestellt, zumeist
wohl auch ihrer jüdischen Verleger und Herausgeber wegen.
Westheim, Cassirer, Flechtheim.
„Tabula rasa“ sagte Möller, „und ich habe
erfahren, dass vom 1. November ab alle Zeitschriftengründungen
genehmigungspflichtig sein werden. Wie wäre es, wenn Sie noch
vorher eine Zeitschrift gründeten, sonst haben wir nach diesem
Termin überhaupt kein Organ mehr für Moderne Kunst!“
Mir war dieser Gedanke neu, aber sofort einleuchtend. Es muss gegen den
20. Oktober gewesen sein, als wir uns eines Nachts in der Galerie
Möller versammelten. Möller stellte uns den Direktor Hartmann
von der Zeitschrift „Weltkunst“ vor, einem auf ältere
Kunst und Antiquitäten spezialisierten Kunsthändlerorgan, das
ich bis dahin nicht gekannt hatte. Er sollte, so erfuhr ich, die
Geschäftsleitung der neuen Zeitschrift übernehmen, den
Umbruch würde Dr. W. R. Deusch, auch von der
„Weltkunst“, besorgen, die Schriftleitung sollte ich
übernehmen. Ein kleines Redaktionskomitee werde mich dabei
unterstützen. Meiner Erinnerung nach machte uns Möller bei
dieser Gelegenheit mit dem Schriftsteller Gert H. Theunissen bekannt,
der auch sofort den Leitartikel für die erste Nummer
übernahm, Benkert präsentierte einen Mann namens Josef
Lackner, der „Blutordensträger“ sei, als politisches
Aushängeschild. Ich entsinne mich, dass Lackner zwei bis drei Mal
bei Redaktionssitzungen erschien, ein Mal schrieb er auch einen kleinen
Artikel, dann entschwand er meinen Augen.
Nach kurzer Überlegung schlug ich als Titel der Zeitschrift
die Bezeichnung „Kunst der Nation“ vor, als politische
Absicherung, des Klanges wegen und um den ganzen Bereich deutscher
Sprache zu umfassen. Gegen den Namen und gegen die von mir für den
Titel verlangten roten gotischen Lettern gab es Einwendungen, ich
glaube, von Seiten der „Weltkunst - Leute“, sie hatten eine
in Antiqua gesetzten Titel. Aber ich gab zu bedenken, dass wir uns
gegenüber unseren Gegnern, deren Macht und Rückhalt bei der
Partei wir ja inzwischen zu spüren bekommen hatten, nur halten
könnten, wenn wir in aller Unschuld so täten, als glaubten
wir wirklich, die von uns vertretene Kunst sei die allein
maßgebende, qualitätvolle, deutsche – und somit auch
die allein der politischen Neuordnung gemäße Kunst.
Schließlich waren wir in allen Punkten einig, auch in dem, dass
wir alle ehrenamtlich arbeiten und auch für Beiträge, die wir
selbst verfassten, kein Honorar erhalten würden.
„Vorläufig jedenfalls“, sagte Direktor Hartmann,
„bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich die Zeitschrift wirklich
rentiert.“
Dieser Zeitpunkt trat aber, soweit es mich betraf, nie ein. Es
war mir auch ganz egal, obwohl ich damals oft so hungerte, dass ich mir
am Kücheneingang des Cafes Ernst rohe Eier schenken ließ und
bei Aschinger Gratis-Brötchen aß. In der Nacht und in dieser
Runde von vielleicht sieben Personen – ich besinne mich auf
Theunissen, Stermann, Benkert, Hartmann, Möller, Deusch –
herrschte durchaus die erregende Atmosphäre einer
Verschwörung. Es war ein schmales, kleines Hinterzimmer der
Galerie bei gedämpftem Licht, eine Couch war da, auf deren Rand
man hocken konnte, einige Stühle. Alles wurde durchdiskutiert, bis
uns die Neuerscheinung fix und fertig vorschwebte: Format einer
Tageszeitung, um auch große Bildreproduktionen bringen zu
können; Kunstdruckpapier – eben der Reproduktionen wegen
–, mindestens achtseitig; 14-tägiges Erscheinen; Verkauf
auch an Kiosken.
Ich erklärte, ich könne als verantwortlicher
Schriftleiter nur zeichnen, wenn ich völlige redaktionelle
Entscheidungsfreiheit habe, die Geschäftsleitung müsse sich
tatsächlich auf ihre spezifischen Aufgaben beschränken. Dies
wurde mir zugesichert. Mit halbem Ohr hörte ich, dass der
Geldgeber – es sei sofort einmal ein Startkapital von, ich
glaube, 20.000 Mark erforderlich – ein Hamburger Bildhauer sei,
der aber nicht in den Vordergrund treten wolle, er sei als
Künstler weder bekannt noch bedeutend, ich fragte welche Art
Plastiken er mache, und hörte etwas von einem Grabmal für
einen Selbstmörder in Monte Carlo – jedenfalls sei er
wohlhabend und bereit, in unser Projekt Geld zu investieren und dieses
Geld unter Umständen zu verlieren. Also ein Idealist, dachte ich,
und mir gefiel das. Sein Name war William A. König. Dass er
irgendwo im Norden, sozusagen im Dunkeln, verbleiben und in Berlin kaum
auftauchen werde, gefiel mir auch.
Hartmann war ein etwas molliger Mann mit lustigen Augen und dunklem
Haar, in dem vollen, beweglichen Mund steckte immer eine Zigarre in
Zigarrenspitze, während ich meine große runde Brasil
natürlich ohne Spitze rauchte. Er wirkte verschmitzt,
unternehmungsfreudig, humorvoll. Er war vielleicht zwischen 40 und 50
Jahre alt, spielte auch seine Überlegenheit und Erfahrung in
seinem Job gelegentlich aus, aber er lag mir, ich hatte nie Streit mit
ihm.
Die Zeit drängte, in wenigen Tagen musste die erste Nummer stehen.
Hartmann verabredete sich mit mir und schleifte mich an einem der
nächsten Tage zu irgendeiner Behörde. Irgendwie war zur
Eintragung ins Handelsregister, glaube ich, meine Unterschrift von
Nöten. Ich hatte von derlei Dingen keine Ahnung, hatte keine
Ahnung was ich da unterschrieb und wofür ich nun geradezustehen
hatte.
Ich weiß noch, wie wir aus dem großen Gebäude,
worin ich, stehend an einem Schalter, das meine getan hatte, herauskam.
Das Grau der Straße, darin einige Farbflecken von Schaufenstern,
Passanten, Straßenbahn, sind mir im Gedächtnis. Mir war
alles andere als behaglich zumute. „Habe ich da für
irgendeine Summe gebürgt und in welcher Höhe?“ fragte
ich Hartmann, „Sie wissen, dass ich nichts habe!“ Er lachte
nur: „Na also, machen Sie sich keine Sorgen, das ist alles nur
formaler Kram.“
Am 1. November 1933, gleichzeitig mit dem Verbot der Herausgabe
ungenehmigter neuer Presseorgane, lag die erste Nummer der „Kunst
der Nation“ auf dem Tisch. Das Impressum nannte nur meinen Namen,
von der dritten Nummer ab sogar doppelt: „Schriftleitung:
Otto-Andreas Schreiber; Verantwortlich: Otto-Andreas-Schreiber,
Berlin.“ Erst am 1. Juni 1934, als wir inzwischen 3.500 feste
Bezieher hatten, und ein weiterer Teil der Auflage an den Kiosken
verkauft wurde, als inzwischen irgendein mir bis heute unbekanntes
Zerwürfnis zwischen Hartmann und dem Geldgeber A. William
König stattgefunden haben musste, tauchte dieser aus seinem
nordischen Dunkel auf, setzte sich bebrillt, vierkantig und mit
knarrender Stimme an den Schreibtisch unseres bisherigen molligen
Geschäftsleiters und erweiterte das Impressum durch die Angabe:
„Herausgeber: A. William König.“ Von da ab war die
Zusammenarbeit nicht mehr so ganz reibungslos, König entwickelte
Ehrgeiz und redete ab und zu in die Redaktionsarbeit hinein, ich
ließ es mir nicht bieten, es gab Auseinandersetzungen.
Aber das ist der Zeit vorgegriffen.
Die erste Nummer lag also vor. Die Schwurhand des
Verkündigungsengels von Veit Stoß zierte die Titelseite,
Theunissen überschrieb seinen Leitartikel mit: „Der
Kulturwille der jungen Generation“, Werner Richard Deusch folgte
mit einer Besprechung der in Berliner Kupferstichkabinett ausgestellten
Zeichnungen der Dürerzeit, ich selbst steuerte einen Aufsatz
„Haben wir jungen Maler ein neues Kunstideal?“ bei, worin
ich zu einer Verneinung dieser Frage kam, gegen die
Überschätzung der Realisationsmethoden („Ismen“)
und gegen die motivische und formale Umstellung vieler Maler auf die
neue politische Richtung polemisierte und als einzigen Maßstab
die Kraft der Persönlichkeit des einzelnen Künstlers, die
Natur als Ausgangspunkt des künstlerischen Erlebnisses und die
malerische Qualität des geschaffenen Werkes gelten ließ. Der
Schlusssatz lautete: „Das Bekenntnis der jungen Kunst ist ohne
Vokabeln, ohne Programm, ohne Namen, aber voller Hoffnungen.“
Will Kelter schrieb über die Arbeit der Jury bei der
Rheinisch-Westfälischen Ausstellung „Westfront 1933“,
die von der Partei bekämpft wurde, ein Abdruck aus
„Erinnerungen an den Maler Hans von Marées“, ein
Aufsatz über den Bildhauer Anton Gräuel, eine Zitatenfolge
aus der Kunstkritik des vorigen Jahrhunderts unter dem Titel
„Meeres-Ungeheuer“ (diesen Titel behielten wir dann
für unsere kunstpolitische Flachsecke bei), Thorwalis (hinter
diesem Pseudonym verbarg sich der Berliner Kunstkritiker Zeeck),
Abhandlung über Dürer als Kunsthändler, Besprechungen
eines Kulturfilms von Wilfried Basse, eine Notiz über die
Tänzerin Niddy Impekoven, Benkerts Anmerkungen zum Goslarer
Adlerbrunnen, schließlich literarische Beiträge von Andreas
Dück und von Carl von Bremen.
Natürlich wollten wir uns keinesfalls schon mit der ersten Nummer
das Genick brechen. Daher der Versuch einer mehrfachen Absicherung: Der
Bericht des „alten Kämpfers“ Josef Lackners über
Hitlers Putsch vom 9. November 1923, den er als Augenzeuge miterlebte.
Ferner eine Szene auf Dietrich Eckards „Lorenzaccio“.
Schließlich beim Umbruch zwischen die Texte eingeschobene
Aussprüche von Männern der Führungsspitze der Partei:
„Gegen Gewalt und Unrecht, für die Befriedigung der
Welt.“ „Mit Hitler gegen den Rüstungswahnsinn der
Welt.“ Eine Äußerung von Rudolf Hess für bedingte
Glaubensfreiheit und gegen Gewissenszwang. Und die programmatische
Erklärung Hitlers: „Das nationalsozialistische Deutschland
hat keinen anderen Wunsch, als den Wettlauf der europäischen
Völker wieder auf die Gebiete hinzulenken, auf denen sie der
ganzen Menschheit in der edelsten gegenseitigen Rivalität jene
unerhörten Güter der Zivilisation, der Kultur und Kunst
gegeben haben, die das Bild der Welt heute bereichern und
verschönern.“
Heute, nach unseren
geschichtlichen Erfahrungen, wirken diese Äußerungen der
Parteiführer zynisch. Damals aber lag eine Einlösung solcher
Versprechungen durchaus noch im Bereich der Möglichkeit.
Jedenfalls wollten wir uns durch diese Zitatenauswahl ebenfalls zu
Frieden, Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit und Gedankenfreiheit bekennen
und uns gegen den Vorwurf, wir seien Parteifeinde und
Kulturbolschewisten, zur Wehr setzen.
Aber nur in der ersten Nummer finden sich die (und auch nur diese vier) politischen Zitate.
Danach haben wir noch manchmal in unser Konzept passende Sätze aus
Politikerreden innerhalb unserer Artikel zitiert, einmal auch einen
größeren Abschnitt einer Goebbels-Rede wie einen
Originalartikel abgedruckt, was Paul Ortwin Rave („Kunstdiktatur
im Dritten Reich“, S. 39) zu der Annahme verleitete, Goebbels
habe der „Kunst der Nation“ einen eigenen Beitrag
„zur Verfügung gestellt“ – das war
natürlich nicht der Fall – und daher stimmt die Folgerung,
die Rave daraus zieht, Goebbels habe sich durch diese
Zurverfügungstellung seines Beitrags offen zu der hier Ausdruck
findenden „Opposition“ bekannt, ebenso wenig.
Im Gegenteil: Keiner der führenden Parteileute dachte auch
nur im Traum daran, sich zu uns zu „bekennen“. Der
Kulturamtsleiter der DAF, Otto Geiger, berichtete mir eines Tages,
Alfred Rosenberg habe eine Zusammenkunft mit ihm herbeigeführt,
die ausschließlich dem Zweck diente, mir jede weitere
kulturpolitische Tätigkeit innerhalb der DAF zu untersagen.
Es war im Mai 1934, Rosenberg habe auf seinen Bücherschrank
gewiesen, wo er alle bis dahin erschienenen Nummern der „Kunst
der Nation“ gesammelt habe, er lese sie sehr aufmerksam, die
raffinierte Ausspielung der Gotik zur Verteidigung des Expressionismus
zeige, wie gefährlich meine Tätigkeit sei, er verlangte meine
Ausschaltung, vor allem aus der Organisation der
„Fabrikausstellungen“, die ich inzwischen begonnen hatte.
Geiger widerstand – ich werde es ihm nie vergessen, er versprach
lediglich, mich nach Möglichkeit zu „bändigen“.
Ich sehe noch Geiger über das ganze Gesicht lachen.
„Rosenberg hat allen Respekt vor Ihnen“, sagte er,
„das habe ich deutlich gemerkt, aber er will Sie aus der Arbeit
auf dem Gebiet der bildenden Kunst herauswerfen, nehmen Sie sich in
acht, Schreiber.“
Und Goebbels? Weidemann überbrachte mir eine
Äußerung von Goebbels, der sich bei ihm erkundigt hatte, ob
ich vielleicht aus finanziellen Gründen aufs Schriftstellern
angewiesen sei. Jedenfalls möge er mich wissen lassen, er,
Goebbels, sei bereit, mir jährlich einen Betrag von beispielsweise
5.000 Mark zahlen zu lassen, wenn ich mich dafür verpflichtete,
künftig hin auf alle oratorischen und schriftstellerischen
Äußerungen über Kunst und Kunstpolitik zu verzichten.
Ich lehnte ab. Weidemann bemerkte noch: „Gut, ich will es
Goebbels bestellen. Ich habe ihm ja sofort gesagt, dass Sie nicht
darauf eingehen werden.“
Im Jahr 1934 und Anfang 1935 war die „Kunst der Nation“ die
einzige Zeitschrift in Deutschland, die sich für die verfemte
Kunst einsetzte, sich offen und kämpferisch einsetzte, mit
großen Abbildungen von Werken der so genannten
„Entarteten“, Wilhelm Lehmbruck und Gerhard Marcks in der
zweiten Nummer, Joachim Karsch, Otto Müller und Ernst Barlach in
der Januarnummer, Otto Dix, Oskar Kokoschka, Otto Pankok am 1. Februar,
Emil Nolde am 15. Februar, Lyonel Feininger am 1. März, August
Macke, Emil Nolde und Alfred Kubin am 15. März, Lovis Corinth,
Erich Heckel am 1. April, Schmidt-Rottluff, Paula Modersohn-Becker,
Georg Schrimpf und der abstrakte Fillia am 15. April, Schmidt-Rottluff,
Heckel, Munch am 15. Mai, Werner Schulz am 1. Juni, Otto Müller,
Otto Pankok, Hermann Teuber und Arno Lehmann am 15. Juni, Edwin Scharff
und Hodler am 1. Juli, Eberhard Viegener, Christoph Drexel und Milly
Steger am 15. Juli, Josef Scharl und Erich Heckel am 1. August –
so viel mag als Beispiel genügen, und durchweg waren dies
Abbildungen zu größeren Aufsätzen.
Am 1. Januar hatte ich in meinem Leitartikel „Das
Geltungsbedürfnis der 20.000“ gegen das künstlerische
Mittelmaß gesprochen. „Das Prinzip, Summierungen von Kitsch
und Kunst auf die Menge loszulassen, um ihr gewissermaßen auch
das Maul dieses Bedürfnisses zu stopfen, ist bolschewistisch, vom
Volk aus gesehen, denn es zielt nicht darauf ab, auf den Charakter der
Nation veredelnd einzuwirken, sondern im Kollektiv zu dienen. Es ist
aber auch bolschewistisch, vom Künstler aus gesehen, denn wenn man
die „20.000 Maler, die in Deutschland Leinwandflächen
beanspruchen, für die Kunst alarmiert, so richtet sich deren
Geltungsbedürfnis notwendigerweise gegen die Qualität und
gleicht der russischen Alarmierung von je 20 nichtskönnenden
Proletariern gegen je einen Kulaken, der seine Landwirtschaft
versteht!“
Ich versuche also, da ich von der Parteipresse als
„Kunstbolschewist“ gebrandmarkt werde, den Spieß
umzudrehen.
Fünf Zeilen weiter heißt es dann: „In
der Kunstwertung kann nur das aristokratische Prinzip Geltung haben,
wenn sich die Kunst nicht selbst aufgeben soll. d. h. das Beste herrscht!“ Dieser ganze Passus war gesperrt gedruckt.
Am 1. April 1934 folgte mein Leitartikel „Fortsetzung des
Expressionismus“, am 15. April mein Aufsatz „Stil?.“
Immer wieder versuche ich gerade zu beschwörend, klar zu
machen, dass die Kunst ihren eigenen Gesetzen folgt, dass es nicht auf
die Motive, nicht auf die Gestaltungsmethode (Stil), nicht auf den
Verständlichkeitsgrad, sondern einzig und allein auf die
Bewältigung der künstlerischen Probleme, auf die
Qualität, auf die Übersetzung von Natur „in die
Ausdrucksmittel von Farbe und Form“ ankomme, auf die
Verwirklichung der Persönlichkeit des Malers, der sich durch die
Malerei und die Malerei durch sich höher „entwickeln“
will.
Mit diesen drei Aufsätzen hatte ich meine Auffassungen von Kunst
und Kunstpolitik deutlich gemacht. Das Ansehen, das die Zeitschrift
schon nach wenigen Nummern gewonnen hatte, die Aufregung, die sie
verursachte, die Wirkung, die sie ausübte, waren unwahrscheinlich
groß, - nur dass die Resonanz eben von begeisterter Zustimmung
bis zu heftigster Feindschaft reichte!
Zu den Mitarbeitern, die uns nach oder ohne Aufforderung Beiträge
schrieben, zählten u. a. Werner Haftmann, Bruns E. Werner, Paul
Ferdinand Schmidt, Herbert Griebitsch, Paul Bonatz, Hans Schwippert,
Wilhelm Pinder, Wilhelm von Schramm, F. A. Dargel, Hans Eckstein,
Manfred Lehmbruck, Fritz Nemitz, Dr. Schwark (Eska), Werner March,
Werner Beumelburg, Renger-Patzsch, Leonard Fürst, Helmut May,
Gustav R. Hocke, Hans Franck, Ruggero Vasari, Leonard Fürst. [Sic]
Einige schrieben auch unter Pseudonym, weil sie sich nicht getrauten.
Ich hatte dafür Verständnis, vor allem wenn es sich um
Museumsbeamte oder sonst wie beamtete oder angestellte Wissenschaftler
handelte, die mit Recht um ihre Positionen bangten.
Einen Spaß eigener Art machten wir uns mit der Ecke
„Meeres-Ungeheuer“. Es war unser Pranger, an dem wir ohne
jeden Kommentar Personen, Werke und Texte dem Gelächter der Leser
preisgaben. Die Opfer unseres Spottes fanden wir natürlich vor
allem unter den von der Partei geförderten Literaten,
Künstlern und ihren Werken, daher steckte bisweilen gerade in
dieser Ecke der Zeitschrift eine besondere kulturpolitische Brisanz.
So folgte den Zitaten aus Kunstkritiken des vorigen Jahrhunderts
in der zweiten Nummer der vollständige Abdruck einer Kunstkritik
des „Pankower Generalanzeigers“ vom 26. Oktober 1933,
sodann eine Leseprobe aus Kurt Karl Eberleins Buch „Was ist
Deutsch in der deutschen Kunst“, ein Triptychon von Prof. Richard
Gühr, dem wir die Überschrift „Richard Wagner auf der
Walze“ gaben, ein die Rasse feierndes Titelblatt von Prof. Klewer
mit unserer Überschrift „Attilas Frühstück“,
eine Grabmalgruppe von Leisner mit der Überschrift „Die
vollkommene Ehe“. Ich entsinne mich auch eines Aktgemäldes
von Prof. Richard Müller, das unter „Meeres-Ungeheuer“
abgebildet wurde: Ein fülliges, liegendes Weib mit neckisch
über die Schamhaare geworfenem Taschentüchlein.
Der Verlag „Kunst der Nation“ hatte seine Heimstadt in der
Kurfürstenstraße 118 in einem der typischen alten
Wilhelminisch-klassizistischen Häuser, man stieg eine Treppe hoch,
vielleicht auch zwei, und fand sich in einem großen, auf mich
immer wie ein Leerzimmer wirkender Raum, links einige Fenster zur
Kurfürstenstraße, am hinteren Ende ziemlich verlorener
Schreibtisch, an dem Direktor Hartmann und später A. William
König thronte. Durch eine Tür in der rechten Ecke kam man in
ein kleines Hinterzimmer, das ein kärgliches Licht vom Innenhof
bekam, hier tagte wöchentlich einmal die Redaktion. Josef Lackner
kam überhaupt nur ein- oder zweimal, dann blieb er aus und ich
habe ihn nie wieder gesehen, sehr bald blieb auch Benkert weg, wir
waren dann meist nur zu viert, der Geschäftsleiter, der über
Besucher berichtete, die eingegangenen Beiträge ablieferte und
uns, Dr. Deusch, Theunissen und mich, dann allein ließ. Sehr
treu, korrekt und ganz unentbehrlich war Dr. Deusch, weil er der
Einzige unter uns war, der den Journalismus von der Pieke auf gelernt
hatte, mit ihm war ich dann in der Nacht vor dem jedesmaligen
Erscheinen im Keller der Druckerei H. S. Hermann, wo der Umbruch
gemacht und gesetzt wurde. Aber auf ihn, den distinguierten,
kunstverständigen und intelligenten Mann, der meine ganze
Sympathie hatte, war absoluter Verlass, in den meisten Fällen
machte er den Umbruch ganz alleine. Nach dem Krieg habe ich ihn noch
einmal in Stuttgart im Funkhaus besucht und wir haben bei mir alte
Erinnerungen ausgetauscht.
Schräg gegenüber von Möllers Galerie, am anderen Ufer,
gab es eine Kneipe „Zum kühlen Grunde“, dort
saßen wir „Norden“-Mitglieder so manches Mal
diskutierend und neue Pläne ausheckend, wenn wir in der Galerie
gewesen waren und trockene Kehlen hatten. Unvergesslich bleibt mir ein
Treffen in einem Bierlokal am Potsdamer Platz, wenige Wochen nach
meiner Hochzeit, die am 21. Februar 1934 stattgefunden hatte. Ich
besinne mich noch genau auf unseren Tisch, der in dem ziemlich
großen Saal in der Mitte der zweiten Reihe vor der Rückwand
stand. Wir redeten uns die Köpfe heiß, es ging um Rosenberg,
um den „Kampfbund für deutsche Kultur“, um die
Kunstpolitik im Allgemeinen und Besonderen. Ein Rettich wurde geteilt,
Bier folgte auf Bier. Wir tranken Pils aus Tulpengläsern, es war
nach Mitternacht und da, bei einer hitzigen Darlegung meiner Ansicht
war ich so erregt, dass ich mein halbgefülltes Glas zwischen
meinen Fingern zerbrach. Die Scherben zerschnitten mir die Hand, ich
wickelte mein Taschentuch herum, Blut und Bier rannen über den
Tisch. „Sofort nach Hause!“, sagten meine Freunde,
„wir erledigen das hier!“. Dann stand ich auf dem Potsdamer
Platz, hielt eine Taxe an und wusste, als mich der Fahrer fragte, nicht
mehr die Adresse meiner Wohnung. Völlig verzweifelt zermarterte
ich mein Hirn, starrte zum dunklen Leipziger Platz hinüber,
vergeblich. „Fahren Sie in dieser Richtung!“, sagte ich und
wies die Potsdamer Straße hinunter.
I
ch muss ihn dann irgendwie bis in die Mariendorfer Straße 35 B
nach Steglitz dirigiert haben, weiß noch, dass ich zuerst alle
Haustüren eines falschen Häuserblocks abklapperte und bin
endlich in meine Wohnung, die erst seit wenigen Wochen bezogene
Stätte meines jungen Eheglücks, gelangt.
Aber erst, als ich die Tür des Wohnzimmers öffnete,
dämmerte es mir, dass ich verheiratet war. Das Zimmer dehnte sich
mir in die Tiefe wie ein Saal, erschien von einem Nebel erfüllt zu
sein, und links hinten in der äußersten Ecke einer Couch
hockte eine kleine Gestalt und starrten mich aus einem
schreckensbleichen kleinen Gesicht zwei entsetzte Augen an.
In diesem Moment fiel mir die ganze Last meiner Schuld auf die Seele:
Es war 2 Uhr nachts, und den ganzen Tag seit frühmorgens
ließ ich nichts von mir hören, obwohl wir in unserer Wohnung
Telefon hatten; zwei oder drei Wochen waren wir verheiratet und ich
hatte meine entzückende junge Frau mittags, nachmittags, abends
und nachts in stetig wachsenden Ängsten allein gelassen –
und nun stand ich da, ohne Hut, ohne Mantel, alles hatte ich in der
Garderobe des Lokals am Potsdamer Platz vergessen, mit wirrem Haar, mit
blutverschmiertem Gesicht, Blut am Kragen und Anzug, mit blutigen
Händen – nie werde ich vergessen, wie Irmgard auf mich
zustürzte, mich umklammerte und stammelte: „Um Gottes
Willen! Du hast Rosenberg ermordet!“ In diesen Monaten lernte ich
viele neue Menschen kennen, die sich für unsere studentische
Eigenwilligkeit interessierten oder auch in unserem kunstpolitischen
Kampf eine letzte Hoffnung sahen.
Im Hinterzimmer eines Restaurants diskutierten wir mit dem
weltbekannten Journalisten Knickerbocker, der an Hitlers Friedenswillen
zweifelte und auch in anderer Hinsicht sehr skeptisch war. Er hatte
einige Freunde mitgebracht, aber sie ließen fast
ausschließlich ihn reden. Hippler und von Hadeln versuchten zu
erklären, was wir vom Nationalsozialismus erhofften. Ich musste
dauernd denken, wie gut er mit seinem blassen, schmalen Gesicht und
seinen flammend roten Haaren zu malen sei. Da er neben mir saß,
konnte ich ihn sehr gut beobachten.
Ein Prinz von Preußen, Fritz und ich saßen in einer
Mittagsstunde im „Old Inn“, einer vorzüglichen
Gaststätte Unter den Linden. Es war ein Prinz, wie er im Buch
steht, schlank, hübsch, blond, blauäugig, kultiviert,
intelligent, außerordentlich höflich. Dieser Kaiserenkel
– ich glaube, er ist im Zweiten Weltkrieg gefallen – war
eine leibhaftige Werbung für die Monarchie. ich aß bei
dieser Gelegenheit die ersten und einzigen Austern meines Lebens.
Der französische Schriftsteller André Germain, der an
die 20 Erfolgsbücher geschrieben hatte – ein Titel
„Von Paris nach Moskau“ ist mir vage im Gedächtnis
– besuchte uns in Steglitz. Ich hatte ihn verschiedentlich
getroffen und schließlich zu uns eingeladen. Es war ein kleines,
mageres, hypersensibles Männlein mit spinnendürren Fingern,
aber mit einem hellwachen Gesicht und lebhaften Mienenspiel. Irmgard
hatte ein Abendbrot mit Spargel und Schinken vorbereitet, aber der
kleine Franzose brachte uns zunächstmal aus der Fassung durch
seine Frage, wo er sich „hinlegen“ könne. Ich glaube,
wir fragten ihn ziemlich verlegen, was er damit meine.
„Nun“, sagte er, „ehe ich etwas zu mir nehme, muss
ich mich erst einmal ausstrecken und kurze Zeit ruhen.“
Nun muss man wissen, dass wir in Steglitz nicht mehr als zwei Zimmer
bewohnten, im Wohnzimmer befand sich eine Art Ecksofa oder Eckcouch,
davor der runde Tisch, den ich selbst entworfen und mir hatte
schreinern lassen, im Schlafzimmer unsere Ehebetten. Irmgard geleitete
ihn also in unser Schlafzimmer; als sie zu mir zurückkam, sah sie
mich beinah hilfesuchend an: „Er hat sich mit Anzug und mit
Schuhen einfach oben auf unsere Betten gelegt!“
Aber ehe ich ein Wort dazu sagen konnte, ging die Tür auf
und er stand neben uns. „Das genügt“, meinte er
seelenruhig. Wir konnten essen.
Irmgard weiß noch heute, dass er von ihrem Spargel nur die
Köpfe aß und die Stangen liegen ließ, und dass er das
Weißbrot rund um seinen Teller herum zerkrümelte und auf dem
Tischtuch zerstreute. Nun, andere Völker, andere Sitten, wir
kannten das bis dahin nicht. Das zerbrechliche Männchen war sicher
auch sehr verwöhnt, man sagte, dass er mehrfacher Millionär
sei, er sprach auch sehr offen von seinem Reichtum und dass er
irgendeine ausländische Revolution oder so etwas Ähnliches
mitfinanziert habe. Den „Polnischen Korridor“ und die
„Institution der freien Stadt Danzig“ verurteilte er
heftig, das sei der von Politikern gelegte Samen eines neuen Krieges,
womit er ja kein absolut schlechter Prophet war.
Es war eine sehr interessante und lebhafte Unterhaltung und wir
behielten den Abend als etwas skurril, aber als im Ganzen durchaus
angenehm im Gedächtnis.
Max Sauerlandt hatte mir geschrieben und dann sogar das komplette
Manuskript seiner Vorlesung vor Hamburger Studenten gesandt, worin er
mehrfach unsere Demonstration im Auditorium Maximum mit Lob bedacht
hatte. Nach weiteren Briefen kam er nach Berlin und wir trafen uns im
Vorgarten eines Cafés auf dem Wittenbergplatz, als dritter war
Alois Schardt dabei, der neu ernannte Direktor der Nationalgalerie.
Schardt hatte die Wände in der Nationalgalerie farbig neu
behandeln lassen und präsentierte darauf die Moderne, vor allem
die Brücke-Kunst, in einer Eindringlichkeit, wie es vorher nicht
geschehen war. Er machte sich noch vage Hoffnungen, denn er hatte
Hitler durch die Räume geführt und ihm seinen Standpunkt sehr
gründlich erläutert. Hitler habe zu allem geschwiegen, habe
dann lange am Fenster gestanden und auf die Schinkelsche Wache unter
den Linden herabgeblickt. Dann habe er gesagt: „Auch darüber
hat man mich völlig falsch unterrichtet.“ Dann sei er
gegangen.
Nun, diese Äußerung war mehrdeutig wie ein Spruch des
delphischen Orakels. Er konnte ja nicht den Bau Schinkels gemeint
haben, sondern die Innenausstattung als Ehrenmal der Gefallenen durch
den Architekten Tessenow und dass er später den
Tessenow’schen Schüler Speer zu seinem Leibarchitekten
machen würde, lag doch wohl auch in der Zukunft. Meinte er mit dem
falschen Unterrichten seine alten Münchener Architekten und im
Falle der Nationalgalerie die Leute vom „Kampfbund“? Oder
meinte er damit Schardt?
Nach allem wie es aussah, vor allem nach der
Parteipresse, wir konnten nicht viel Positives erwarten. So war unsere
Stimmung an diesem Nachmittag auch sehr gedrückt, sehr resigniert.
Max Sauerlandt mit seinem schmalen, braunen Kopf und dem Adlerprofil,
Aristokrat durch und durch, für mich der schönste und
männlichste Mann, der mir bis dahin begegnet war, voller
Melancholie, was mich tief erschütterte, sprach von einer
„Flucht“ nach Griechenland und dass dies vielleicht seine
letzte Reise sein werde.
Seine Ahnung hat ihn nicht
getrogen. Die Vorlesung, die er mir in handschriftlicher Ausfertigung
geschickt hatte, war seine letzte, wenige Wochen nach unserer
Zusammenkunft starb er. Zwei Jahre später, 1935, gab Harald Busch
die Vorlesung, sein Vermächtnis sozusagen, als Buch heraus
(„Die Kunst der letzten 30 Jahre“, Rembrandt-Verlag).
Es wurde natürlich verboten. Am 11. Oktober 1935 bat mich der
Verlag um eine Stellungnahme, die für die geheime Stabspolizei
bestimmt war. Ohne Rücksicht auf diesen gewiss nicht
ungefährlichen Adressaten schrieb ich eine zweiseitige Apologie
des Buches mit besonderer Betonung seiner Bedeutung für die
deutsche Kunst. Max Sauerlandts Witwe hat mir dafür nach dem Krieg
in einem Brief gedankt.
Schardt ist dann kurze Zeit nach jenem Tag in die USA emigriert. Er
muss aber auch noch bei anderer Gelegenheit mit uns zusammengewesen
sein, denn er hat mein Exemplar von Rosenbergs „Mythos des 20.
Jahrhunderts“, das er sich leihweise von mir erbat, mit in die
Emigration genommen. Ich hatte erst selbst einige Teile des Buches
gelesen, danach nicht wieder besessen, also nie ganz zu mir genommen.
Dunkel erinnere ich mich an einen Abend in der Wohnung des Bildhauers
Thormaehlen, an einen Abend bei Nolde, der außer mir die Maler
Werner Scholz und Hans Kallmann eingeladen hatte, an ein abendliches
Treffen mit Fritz Nemitz in einem Berliner Restaurant, an einen Besuch
bei dem Ehepaar von Brockhusen (sie schrieb Kunstkritiken), an Besuche
der Architekten Mies van der Rohe, Bonatz und Hans Schwippert (mit
Bonatz zusammen sahen wir uns eine Vorstellung des „Kabaretts der
Komiker“ an), an eine Teeparty in einer Etagenwohnung am
Kurfürstendamm, sehr feudal, sehr langweilig, sehr ermüdend,
an einen Tag in einem Schloss am Südrand von Berlin mit sehr
vielen Menschen, an Besuche von Philipp Harth, dem Tierbildhauer, von
Bruno E. Werner, vom Maler Emil van Hauth. Auch Kurt Kusenberg lernte
ich in dieser Zeit kennen und eines Tages suchte mich ein junger
Student auf, mit dem ich mich lange unterhielt, wobei mich die
intelligente Art seiner Argumentation so sehr beeindruckte, dass ich
ihn um Beiträge für die „Kunst der Nation“ bat.
Es war Werner Haftmann. Durch Gotthold Schneider, den Leiter des
„Evangelischen Kunstdienstes“ kam ich mit Will Gromann
zusammen, der mich dazu aufforderte, nun, nachdem ich so betont
für die Expressionisten gefochten hätte, auch noch eine
spezielle Lanze für die abstrakte Malerei zu brechen. „Ich
habe für die Freiheit der Kunst ganz allgemein und – da sie
verfolgt wird – für die Moderne Kunst und ihre Freiheit im
Besonderen gefochten“, sagte ich zu ihm, „dass ich dabei
Namen von Expressionisten genannt habe, liegt daran, dass ich sie als
Prototypen für Moderne Kunst in der Auseinandersetzung mit Laien
und Politikern für geeignet halte, wenn wir mit ihnen durchkommen
und überzeugen, zieht das die Freiheit der abstrakten Maler, die
ich natürlich auch will, automatisch nach sich. Aber Sie, als
Schriftsteller, der Sie sind, warum schreiben Sie nicht selbst eine
Philippika für die abstrakte Malerei?“ „Ich bitte Sie,
ich kann das nicht, ich bin schon in ganz Sachsen und darüber
hinaus als der „Rote Will“ verrufen! Das können nur
Sie, der Sie jung und Mitglied der Partei sind, riskieren!“ Das
schien mir zwar nicht so ganz überzeugend, aber auf keinen Fall
hätte ich auf mir den Verdacht sitzen lassen, es fehle mir an Mut,
darum setzte ich, der ich nie in meinem Leben ein abstraktes Bild
gemalt hatte, mich sofort hin, schrieb einen Artikel zur Verteidigung
der abstrakten Malerei und schickte ihn an die „Deutsche
Allgemeine Zeitung“. Er wurde gedruckt, ich weiß nicht, ob
1933 oder 1934 oder Anfang 1935, ich besitze ihn nicht mehr, sehe ihn
aber auf der linken Seite, obere Hälfte, als Zweispalter deutlich
vor mir. Vielleicht, wenn ich mal Zeit habe, fahre ich zu einem
Zeitungsarchiv und suche ihn. Anfang des Jahres 1934 kam Frau Dr.
Charlotte Weidler zu mir und wählte ein Ölbild für die
internationale Ausstellung (Carnegie) in Pittsburgh aus. Von da ab
geschah dies Jahr für Jahr, zum letzten Mal 1948 nach dem Kriege.
Mehrmals war sie von Direktor Saint-Gaudens begleitet, der mich auch
fotografierte, aber er ließ die Aufnahmen in Deutschland
entwickeln und wenn sie in den USA anlangten, war der Ausfuhrstempel
mitten auf mein Gesicht gedrückt, wie er mir erzählte!
Regelmäßig schickte er mir auch Kritiken, die aber zumeist
an der Grenze beschlagnahmt wurden, obwohl er sie in einem Jahr sogar
dreimal expedierte.
Mitte des Jahres 1933 war ich aus dem „Kampfbund für
Deutsche Kultur“, aus dem „NS-Lehrerbund“ und aus dem
„NSD Studentenbund“ ausgeschlossen worden, aber man hatte
vergessen mich auch aus der Partei hinauszuwerfen. Daher, als Ende 1933
die „Reichskulturkammer“ gegründet und Hans Weidemann
zum Vizepräsidenten der „Reichskammer der Bildenden
Künste“ ernannt wurde, als zur selben Zeit unter dem Namen
„NS Gemeinschaft Kraft durch Freude“ eine
Kulturorganisation der „Deutschen Arbeitsfront“ entstand
und Weidemann auch die Leitung des Kulturamtes in der „NS
Gemeinschaft Kraft durch Freude“ übernahm, konnte er mir die
Leitung der Abteilung Bildende Kunst innerhalb dieses Amtes anbieten.
„Hier haben Sie“ – denn damals siezten wir uns noch
– „die einmalige Möglichkeit, Ihre kunstpolitische
Arbeit fortzusetzen“, sagte er. Ich nahm an.
–
Was war die „NS Gemeinschaft Kraft durch Freude“? Es waren
vier der Leitung der „Deutschen Arbeitsfront“
organisatorisch und finanziell unterstellte Ämter mit bestimmten
auf die Freizeitbetreuung der Arbeiterschaft abzielenden Aufgaben:
Kulturamt (Hans Weidemann); Amt „Schönheit der Arbeit“
mit der speziellen Aufgabe besserer Arbeitsplatzgestaltung (Albert
Speer); Amt „Reisen, Wandern, Urlaub“ (Dr. Lafferenz, der
Chef des VW-Werkes); Deutsches Volksbildungswerk (Leutloff).
Das waren die Ämter und ihre Amtsleiter.
Der etwas versoffene Leiter der „Deutschen
Arbeitsfront“, der Nachfolgerorganisation der Gewerkschaften,
hieß Dr. Robert Ley, er wollte eine eigene Kulturarbeit in der
Arbeiterschaft leisten, da sich aber die Kultur als Zankapfel quer
durch die Parteispitze herausgestellt hatte, traute er sich die
Ernennung eines DAF-Funktionärs zum Leiter des Kulturamtes nicht
zu, obwohl er allein das Recht zu solcher Entscheidung hatte. Er wollte
ernennen, aber er wollte sich dabei kulturpolitisch absichern. Nun
hätte er ebenso gut den Kultusminister Rust oder Alfred Rosenberg
oder die Kanzlei des Führers um einen Vorschlag bitten
können, aber er hielt es für richtig, Goebbels zu fragen, der
in diesen Tagen durch seine Gründung der
„Reichskulturkammer“ mehr Aktivität und
organisatorische Fähigkeit im Kulturbereich bewies als der
Theoretiker Rosenberg. Zudem waren Ley und Goebbels Rheinländer,
Rust war ehemaliger Studienrat aus Hannover, Rosenberg war Balte. Ley
befragte also Goebbels und dieser schlug Hans Weidemann vor, da der bis
dahin analoge Referate im Propagandaministerium verwaltet hatte.
Ley ernannte also Weidemann und dieser begann seine Arbeit mit
größtem Elan. Das Kulturamt war sein Werk, da war der
lustige, gutmütige und charaktervolle Otto Geiger, der lang
aufgeschossene Friedheim Judefrey, der Willy Birgel ähnelte und
für sein Leben gern Memoranden verfasste, der begabte
Musikhistoriker Hans Renner mit dem Musikwissenschaftler Dr. Leonhard
Fürst im Schlepptau, der versponnene Gottfried Müller, der
kleine, blonde Roman Hoppenheit, als ältester vielleicht Helmut
Goetze, der Intendant an den Städtischen Bühnen Magdeburg und
am Oldenburger Staatstheater gewesen und dort als
„Kulturbolschewist“ entlassen worden war, und da war ich
– und alle waren sie von Weidemann herangeholt – er hatte
völlig freie Hand bekommen, sich seine Mitarbeiter zu suchen. Um
das Amt zunächst einmal bekannt zu machen, wurde ein Wettbewerb
für alle deutschen Künstler ausgeschrieben, den ich in der
Neujahrsnummer der „Kunst der Nation“ publizierte. Der
Wettbewerb war vierfach, die Architekten waren aufgefordert ein
„Haus der Arbeit“ zu entwerfen, von den Malern wurde der
Entwurf eines Wandbildes verlangt, die Dichter sollten ein
„Massenschauspiel“ schreiben und die Komponisten ein
Chorwerk schaffen. All dies sozusagen als Fiktion, als Probe auf den
Ernstfall, um die formalen Bedingungen solcher Aufgaben zu erforschen
und zu klären. Würden sich dann Ort, Platz, Anlass für
die Aus- oder Aufführung einzelner Entwürfe ergeben, so
könnten sie noch auf die spezielle Situation abgestimmt und
realisiert werden.
Für die jeweilige Jury in den vier Sparten hatten wir viel
vor; Mies van der Rohe sollte dabei sein, Erich Heckel im
Wandbildwettbewerb, Strauss und Hindemith in der Jury für das
Chorwerk. Hier muss Weidemann schon auf Widerstände im
Propagandaministerium, wo er sich vermutlich Rückendeckung
verschaffen wollte, gestoßen sein, denn diese prononciertesten
Vertreter der Moderne fehlten dann unter den Juroren, die ich in der
„Kunst der Nation“ vom 1. März 1934 bekanntgeben
konnte. In der Jury für das „Haus der Arbeit“
fungierten Lörcher, Tessenow, Speer, Bonatz, Schupp und der
Direktor der Königsberger Akademie, Kurt Frick; in der Jury
für das Wandbild der Maler Franz Lenk, Erich Hanfstengel, Bonatz,
Wendling, Peter Ludwig Kowalski, bei den Musikern Georg Schumann, Paul
Groener, Folkerts, Nellius, Hermann Reuther und Hans Renner.
Der Einsendetermin war der 1. April, der Ort der Jurierung, wenn ich
mich recht erinnere, die Staatliche Kunstakademie am Hardenbergplatz.
Als Abteilungsleiter für Bildende Kunst war ich bei der Jurierung
für das „Haus der Arbeit“ und für das Wandbild
persönlich – wenn auch nicht als Mitjuror – anwesend.
Ich erinnere mich, dass ich mich mit Albert Speer unterhielt,
während wir die an den Wänden aufgehängten
Architekturentwürfe betrachteten.
Der erste Preisträger des Wandbildwettbewerbs war der Bildhauer
Ludwig Gies, dessen „gekreuzigter Christus“ einige Jahre
später in der Ausstellung „Entartete Kunst“
angeprangert wurde. Hans Mocznay, Horst de Marees, Heinz Böhm und
Paul Kälberer waren die weiteren Preisträger, ich besinne
mich auch auf einen schönen Entwurf von Hans Stübner.
Dass wir zunächst Mies van der Rohe als Juror vorgesehen
hatten, war natürlich geradezu irrsinnig, denn er galt als Spitze
der „entarteten Kunst“ in der Architektur. Ich muss ihn
kurz nach meiner Rede im Auditorium Maximum kennengelernt haben, er hat
uns auch privat besucht, worauf sich Irmgard genau besinnt. Mir ist
mein letztes Gespräch mit ihm in Erinnerung. Ich fuhr mit ihm auf
dem Oberdeck des zweistöckigen Autobus 5 die Potsdamer
Straße entlang in Richtung auf den Potsdamer Platz. Er
erzählte mir, dass er aus den USA eine Berufung, ich glaube an die
Harvard, erhalten habe, dies sei nun ein großer Konflikt für
ihn, denn einerseits glaube er nicht, dass er in Deutschland
künftig noch bauen könne, selbst bei einem für einen
Privatmann geplanten (oder gebauten?) Wohnhaus, das tief im Garten
(oder Park) liege und wegen des Baumbestandes von der Straße aus
überhaupt nicht zu sehen sei, würden ihm die
allergrößten Schwierigkeiten gemacht, nur weil er für
das Haus ein flaches Dach – was ja als „undeutsch“
galt – vorgesehen habe; andererseits hänge er sehr an
Deutschland und die Vorstellung, falls er weggehe, vielleicht nie
wieder in seinem Leben zurückkommen zu können, sei für
ihn schrecklich.
Ich riet ihm
eindringlich, die Berufung anzunehmen, es sei eine ehrenvolle Berufung
und jeder wisse, dass er ein ganz unpolitischer Mensch und durch und
durch Architekt sei, sicher könne er in den USA ohne jede
Behinderung großartige Bauten für die Industrie, den Staat
und Private machen und seinen Ruf als international bedeutender
Architekt befestigen – was ihm in Deutschland bei der derzeitigen
kunstpolitischen Lage bestimmt nicht möglich sei – und wenn
er dann nach fünf oder zehn Jahren etwa auch nur besuchsweise
zurückkommen wolle, könnte ich mir keinen Hinderungsgrund
denken.
Meiner Meinung nach müsse er nur darauf achten, in Amerika vor
Rundfunk und Presse keine politischen oder antideutschen
Äußerungen zu machen, sonst seien natürlich bei einer
Rückkehr Repressalien vorauszusehen.
Wir diskutierten das Problem hin und her, es war für ihn wirklich
eine schwere Entscheidung, denn niemand konnte damals Entwicklung und
Ende des „Tausendjährigen Reiches“ voraussehen. Man
beurteilt das heute allzu leicht aufgrund von Erkenntnissen post
festum.
Kurz vor dem Potsdamer Platz gab er noch eine weitere Begründung
für seine Unentschlossenheit. Von der Lehrtätigkeit an einer
amerikanischen Hochschule schrecke ihn der Bericht eines Freundes
– er nannte den Namen eines Bauhaus-Künstlers, glaube ich
– ab, der eine solche Berufung angenommen habe. Danach seien
amerikanische Kunststudenten nicht mit europäischen Kunststudenten
zu vergleichen. Es sei eine völlig andere Mentalität. Der
amerikanische Student interessiere sich nicht für das, was Kunst
sei, er höre überhaupt nicht hin oder habe kein Organ
dafür, er erwarte von seinem Professor lediglich, dass er ihm
gewisse Tricks beibringe, wie am schnellsten an Erfolg, Ruhm und Geld
zu kommen sei. Alles andere, alles Reden über Kunst,
künstlerischen Ernst und Verantwortung, belächelten sie als
typisch europäische Spinnerei, Weltfremdheit und Zeitvergeudung.
Jedenfalls sei sein Freund, der nun schon eine Zeit lang drüben
lehre, hierüber sehr deprimiert, er selbst müsse also auch
mit einer ähnlichen schweren Enttäuschung und
Ernüchterung rechnen.
Dies war, wie gesagt, unsere letzte Unterhaltung, er ist dann
doch in die USA gegangen und hat es sicher nicht bereut. Und dass ich
ihm so nachdrücklich zur Auswanderung geraten habe, freut mich
noch heute. –
Als mir Weidemann die Leitung der Abteilung „Bildende
Kunst“ in seinem Kulturamt anbot, stand ich auch vor einer nicht
gerade leichten Entscheidung. Ein halbes Jahr vorher hatte ich Irmgard
geheiratet, die nun ihr erstes Baby erwartete. Nach all meinen
bisherigen Aktionen war ich für die Öffentlichkeit, vor allem
für die gesamte Parteipresse, Parteiführung und Regierung ein
„Kulturbolschewist“ und hatte mich in eben diesen Tagen
durch die Gründung und Übernahme der Schriftleitung der
„Kunst der Nation“ erneut exponiert. Von welchem Punkt an
würde ich nicht nur mich, sondern auch meine Familie in ernsthafte
Gefahr bringen?
Mitte 1933 hatte ich meinen Beamteneid als Studienassessor geleistet.
Nun gut, das hatte ich der Studienstiftung und meinen Eltern
versprochen. Das war Formsache, denn auf jeden Fall wollte ich als
freier Maler leben. Allerdings konnte ich das ja auch nur in
beschränktem Umfang, wenn ich diese neue Aufgabe im Kulturamt
für das mehr als kümmerliche Honorar von etwa 400 Mark im
Monat übernahm. Und dagegen stand: Wenn ich schon nicht Vorderhand
als freier Maler existieren konnte, das lange Studium, die
Staatsexamen, der Beamtenstatus, die spätere Pension – all
das warf ich hin. Und wofür? Für die vage Möglichkeit
unter dem Schutz der großen Arbeiterorganisation „Deutsche
Arbeitsfront“ und ihres trinkfreudigen total amusischen Leiters
Dr. Ley der Modernen Kunst in Deutschland eine letzte kleine Chance zu
geben.
Weidemann behielt Recht mit dem, was er mir in Aussicht gestellt hatte,
es war möglich ein geschlossenes System von der
Öffentlichkeit nicht zugänglichen Kunstausstellungen in
Fabriken und Betrieben aufzubauen. Kaum hatte ich mit den
Vorbereitungen begonnen, es war im Februar 1934, als Weidemann auf
persönlichen Befehl des Führers seine Ämter in der DAF
und in der Reichskammer der Bildenden Künste verlor. Er hatte
vorgeschlagen, Emil Nolde zum Präsidenten der Reichskammer zu
machen, das war zuviel gewesen. Jede kulturpolitische Tätigkeit
wurde ihm verboten, Goebbels zog ihn ins Propagandaministerium
zurück. Es war ein harter Schlag für uns, auch ich stellte
mich darauf ein, dass das Ende meiner kunstpolitischen Tätigkeit
gekommen sei. Aber Otto Geiger übernahm die kommissarische Leitung
des Kulturamtes, er war ein Mann von echtem „Schrot und
Korn“, ich habe bei meinem Bericht über die Gründung
der „Kunst der Nation“ schon erzählt, wie er im Mai
1934 zu Alfred Rosenberg zitiert wurde und wie energisch und auch
erfolgreich er dessen Versuch, mich aus der Kulturpolitik
auszuschalten, widerstand.
Das halbe Jahr hatte mir genügt, in allen Gauen des Reiches die
Veranstaltung von Kunstausstellungen in Fabriken und Betrieben zu
organisieren und hierfür ein straffes Schema zu schaffen. Ich gab
ihnen die Benennung „Fabrikausstellungen“, um es vor der
Öffentlichkeit nicht so deutlich zu machen, dass es sich um
Kunstausstellungen handelte. Denn da ich den Arbeitern Moderne Kunst
zeigen wollte, war für den Bestand des Unternehmens dies das
eigentliche Problem: Die Öffentlichkeit, und damit auch alle
möglichen Kulturwalter und -warte, Kampfbund-Funktionäre und
Parteipresse mussten ausgeschlossen und am Besuch dieser Veranstaltung
gehindert werden. Dafür kam mir Zweierlei sehr zu pass. Einerseits
schmeichelte es den Spitzenfunktionären der „Deutschen
Arbeitsfront“, dass ich die Fabrikausstellungen als
„DAF-intern“ bezeichnete, sie waren stolz darauf, auf
kulturellem Gebiet etwas eigenes zu haben, in das kein
Organisationsfremder hineinzureden hatte – überdies
verstanden sie durchweg sowieso nichts von Bildender Kunst.
Andererseits – und dies war mein durchschlagendes Argument
für die völlige Geheimhaltung: Die Betriebe dürften
durch Fremdbesuch und Presse nicht „gestört“ werden
und anders als durch Geheimhaltung der Werkspionage in
Rüstungsbetrieben – und dazu gehörte damals schon
beinahe alles – absolut nicht zu verhindern. So verbot ich strikt
die Bekanntgabe von Ort und Termin der Ausstellungen. Mit meinen
Argumenten setzte ich es auch durch, dass die Fabrikausstellungen als
einzige Kunstausstellungen des Reiches nie der Reichskammer der
Bildenden Kunst gemeldet wurden, was für alle öffentlichen
Kunstausstellungen seit Gründung der Kammer strenge Vorschrift
war. Die Geschäftsführung der Kammer hat immer wieder einmal,
bis kurz vor dem Kriege, versucht, auch für die
Fabrikausstellungen die Meldepflicht einzuführen, aber wenn die
Leitung der DAF solches an sie herangetragenes Ansinnen an mich
weitergab, verfasste ich eine Stellungnahme und es blieb bei der von
mir getroffenen Regelung.
Nun wollte ich auf keinen Fall irgendwo punktuell beginnen und auf die
allmähliche Ausbreitung warten. Vielmehr wollte ich mit einem
Schlage eine das ganze Reichsgebiet umfassende Ausstellungsorganisation
auf die Beine stellen. Das Reichsgebiet gliederte sich in Gaue und in
jedem Gau gab es inzwischen einen Gauwart der DAF, dem eine
Gaudienststelle der DAF unterstand. Ich musste bei jeder dieser
Gaudienststellen zunächst einmal die technischen Voraussetzungen
schaffen. Dazu gehörte die Konstruktion einer in ästhetischer
und technischer Hinsicht möglichst vorbildlichen transportablen,
leicht auf- und abbaubaren Ausstellungseinrichtung von etwa 15 bis 18
Wänden, ihre Herstellung musste aus meinem Etat finanziert werden,
dann musste ich jeder Gaudienststelle eine, zwei, drei solcher
Ausstellungseinrichtung komplett und für den Gau kostenlos zur
Verfügung stellen. So konnten mir die DAF-Gauwarte mit keiner
faulen Ausrede, es sei kein Geld für so etwas da, kommen, nur so
auch ging ich sicher, dass örtlich nicht etwa alte, schäbige
Rupfenwände, wie sie bis dahin in Vereinen, bei Schulausstellungen
etc. üblich waren, für unsere Veranstaltungen verwendet
würden. Auch die künstlerischen Ausstellungsleiter, die ich
innerhalb jedes Gaues ernannte, mussten von mir ihr Honorar erhalten.
Dadurch erreichte ich die Zentralisierung, denn da ich den
Gaudienststellen keinerlei finanzielle Belastung zumutete, konzedierten
sie mir auch durchweg stillschweigend die alleinige
Entscheidungsbefugnis. Natürlich war das im Grunde schrecklich
autoritär, aber vor diesem Wort hatte man in der Zeit des
„Führerprinzips“ noch nicht solchen Horror wie
heutzutage, außerdem wäre es mir sonst unmöglich
gewesen, meine kunstpolitischen Absichten auch nur einigermaßen
zu verwirklichen. Ich hatte so etwas noch nie in meinem Leben gemacht,
aber immerhin hatte mir ja schon 1927 das Deutsch-‚Kroner
Lehrerkollegium – noch nichtsahnend vom späteren Dritten
Reich – in meinem Abiturzeugnis „hervorragende
Führereigenschaften“ und Organisationstalent attestiert.
In Emmo Rossteutscher, einem Hamburger Maler, fand ich den geradezu
genialen Praktiker, der auf alle meine Vorstellungen von einer idealen
Ausstellungseinrichtung einging. In mehreren Besprechungen legten wir
alle Einzelheiten fest. Er übernahm auch die Fabrikation wie, wo,
in welchen Werkstätten, dafür interessierte ich mich nicht.
Er lieferte auch nach meinen Anweisungen an die Gaudienststellen aus.
Wenn ich heute bei so mancher Wanderausstellung die klobigen
Holzpfosten und primitiven Wände sehe, denke ich mit Wehmut und
einigem Stolz an unsere technisch und ästhetisch fabelhafte
Konstruktion.
Das zweite Problem war die Auswahl der künstlerischen
Ausstellungsleiter. Ich dachte an junge, moderne Maler, für die
dies gleichzeitig eine Existenzhilfe sein sollte. Ihre Tätigkeit
war relativ einfach. Sie riefen von einem Apparat der Gaudienststelle
die verschiedenen Betriebe und Fabriken an und vereinbarten die
Termine. Dann holte ein Lastwagen des Betriebs die
Ausstellungseinrichtung und die Bilder ab und transportierte auch alles
14 Tage später in den nächsten Betrieb. So vermied ich, dass
irgendetwas bei den Gaudienststellen lagerte und eingesehen werden
konnte. Außer der Überwachung von Auf- und Abbau hatte der
Ausstellungsleiter lediglich in der Mittagspause für Frage und
Antwort der Arbeiter an Ort und Stelle zu sein. Für solche
Betreuung erhielt der Ausstellungsleiter pro Ausstellung 150,- Mark,
erfasste er also, da die Dauer von mir auf 14 Tage begrenzt war, in
einem Monat zwei Betriebe, so ergab das pro Monat 300,- Mark. Das war
damals als Nebenverdienst für einen freien Maler viel Geld, ich
selbst wurde ja für meine ganztägige Inanspruchnahme mit etwa
nur 100,- Mark mehr bezahlt – und wenn er es geschickt
einrichtete, konnte der Ausstellungsleiter mit einer weiteren
Ausstellungseinrichtung zwei Ausstellungen „nebeneinander“
laufen lassen und seinen Verdienst verdoppeln.
Ich kannte natürlich persönlich nicht zuverlässige
moderne Maler in allen Gegenden des Reiches und musste mich vielfach
auf Empfehlungen verlassen. In Berlin waren u. a. Werner Heldt, Heinz
Böhm, Rainer Fasshauer, Doerner und Philipp unsere
Ausstellungsleiter, aus anderen Gegenden sind mir noch die Namen Erdle,
Baum, Hans, Oehme, Kiefer, Tyrkowski im Gedächtnis, vielleicht
auch Peter Crisam.
Das dritte wichtige Problem war die Entscheidung darüber, was
ausgestellt werden sollte. Soweit ich mich auf meine Ausstellungsleiter
verlassen konnte, durfte ich dies in ihr Befinden stellen. Trotzdem
– da ja nur die künstlerische Qualität des
Ausgestellten dem ganzen Unternehmen Sinn gab, wollte ich mir auf jeden
Fall eine gewisse Gewähr verschaffen. Dies geschah durch die sog.
„Graphik-Aktion“. In persönlichen Anschreiben und
durch einen Aufruf in der „Kunst der Nation“ bat ich
namhafte deutsche Maler, uns einen Holzstock, eine Radierplatte, einen
Lithostein vorübergehend zur Anfertigung von Graphiken zu
überlassen, die ihnen dann zur Signierung vorgelegt und bei
Verkauf an Arbeiter in Fabrikausstellungen mit ihnen abgerechnet
würden. Da wir dies als Werbung für die Moderne Kunst
betrachteten, die Graphik nur in Betrieben und Fabriken gezeigt
würde und unter den kunstfremden arbeitenden Massen selbst der
ärmste Arbeiter die Möglichkeit zum Erwerb eines Blattes
haben sollte, möge der Künstler ausnahmsweise mit einem
für alle beteiligten Maler geltenden Einheitspreis von 5,- Mark
einverstanden sein, der ohne jeden Abzug mit ihm abgerechnet werde.
Das war gewiss kein luxuriöses Angebot, aber es erging ja durchweg
an Maler, die schon auf der Liste der „Entarteten“ standen
und auf diese Weise persönlich etwas für den kunstpolitischen
Kampf tun konnten. Mehr als 30 Maler gingen darauf ein, allen voran
Schmidt-Rottluff mit einem großen Holzschnitt „Zwei
Katzen“, Benkert mit einem Portraitkopf Barlachs, Otto Pankok mit
einer großen Lithographie, Gerhard Marks, Edwin Scharf, Fritz
Winkler, Hegenbart, Sinkwitz, Alexander Friedrich, Köster, Herbert
Tucholsky, Birnstengel – ich bringe die Namen nicht mehr
zusammen, Täuber, Alexander Kanoldt, Max Unold, Böckstiegel,
Pudlich, Dörries war auch dabei, auch Grodel und Xaver Fuhr. Es
war keine Frage, dass die Kollektion von besonderer Qualität war
und die damalige Moderne Malerei repräsentierte: Den Druck
übernahm die Druckerei in der Kunstakademie am Hardenbergplatz,
natürlich inoffiziell, Wilhelm Philipp führte die Aufsicht.
Die Mitglieder meiner Künstlergruppe „Der Norden“
beteiligten sich nicht an der Graphikaktion, ich machte nur bei Benkert
eine Ausnahme, und dies nicht seinetwegen, sondern weil ich den neben
Nolde am schärfsten als „entartet“, angegriffenen,
Barlach, wenigstens als von Benkert gezeichneten Portraitkopf in der
Kollektion haben wollte. Ich war in dieser Hinsicht von eiserner
Konsequenz: Nie ist ein Werk meiner Hand in einer Fabrikausstellung
gezeigt worden. Dies war für uns damals selbstverständlich,
heute ist das Gegenteil gang und gäbe, nach der Devise: Wer das
Kreuz hat, segnet sich zuerst.
Jeder Ausstellungsleiter nun erhielt die
Graphikkollektion mit der verbindlichen Auflage, sie als Grundstock
jeder Fabrikausstellung zu zeigen und nur durch auf vergleichbarem
Niveau stehende Werke von Künstlern des jeweiligen Gaues zu
ergänzen. Dies waren dann natürlich vorwiegend Aquarelle,
Ölbilder und Plastik. Von wessen Hand? Aus eigener Anschauung und
Erinnerung und aus Notizen meines damaligen Mitarbeiters des Malers
Hans Busch-Algen weiß ich eine Anzahl Künstler zu nennen,
die sich mit ihren Werken an Fabrikausstellungen beteiligt haben: Ewald
Forzig, Max Pechstein, Hermann Blumenthal, Bernhard Dörries, Karl
Bart, Karl Eulenstein, Eduard Bargheer, Hans Füchser, Franz Lenk,
Hans Meyboden, Robert Pudlitz, Hans Theo Richter, Erich Hartmann, Josef
Wedewer, Gottfried Diehl, Max Kaus, Renée Sintenis, Fritz
Burmann, Hans Fischer, Otto Geigenberger, Willi Jaeckel, Georg Kolbe,
Fritz Klimsch, Wilhelm Wessel, Richard Scheibe – diese mögen
für viele andere stehen – und nimmt man die Namen aus der
Graphikkollektion, Schmidt-Rottluff, Otto Pankok, Hegenbart, Gerhard
Marks, Edwin Scharf, Alexander Kanoldt und Max Unold beispielsweise,
hinzu und bedenkt zudem, dass Otto Müller tot war, Kirchner schon
seit Jahren in der Schweiz saß, andere namhafte Maler emigriert
waren oder wie Beckmann ihre Emigration vorbereiteten, so wird man
zugeben müssen, dass die Fabrikausstellungen ein Forum für
die damalige Moderne Kunst Deutschlands waren „und dies bis in
den Krieg hinein“, wie Hildegard Brenner in „Die
Kunstpolitik des Nationalsozialismus“ feststellt, oder wie der
Maler Werner Heldt, der die Berliner Fabrikausstellungen kannte, nach
dem Krieg bestätigte: „Während aller Jahre die einzige
Ausstellungsreihe Berlins mit ausgesprochen „entarteter
Kunst““!
Jeder Ausstellungsleiter erhielt von mir gedruckte
„Richtlinien“, zunächst in Form einer Art von
Prospekt, sehr bald aber als Leinen gebundenes Büchlein, dessen
typographische Gestaltung mir der ehemalige Lehrer des Bauhauses
Dessau, Herbert Beier, besorgte. Er hatte damals ein graphisches
Büro am Kurfürstendamm, wo ich ihn oft besucht habe. Es war
ein typisches Wilhelminisches Eckhaus, mehrere Treppen hoch, neben dem
Fenster rechts lehnten einige seiner abstrakten Bilder an der Wand,
über die wir uns auch einmal unterhielten. Immer, wenn ich einen
graphischen Auftrag zu vergeben hatte, wandte ich mich an ihn, zum
letzten Mal 1938, als er mir den Katalog für unsere
Kunstausstellung in der Hamburgischen Kunsthalle gestaltete. Danach
machten wir einen gemeinsamen Zug über die Reeperbahn, ich hatte
eine „große“ und eine „kleine“
Reeperbahntour parat und ich glaube, mit ihm machte ich die
„große“. Dazu gehörte das „Alcazar“,
„Wellenbad“, das Panoptikum, die Davidswache, ein
Türkencafé, die „Jerusalem-Bar“, die
große Freiheit, das Hippodrom. Die Tour endete 4 Uhr nachts auf
dem Gänsemarkt, mit Hühnersuppe und Einlage. Herbert Beier
war eine rassige Erscheinung, braun gebrannt mit pechschwarzem Haar,
besonders gefielen mir seine dunklen Augen und seine dunkle Stimme. Wir
verstanden uns ausgezeichnet.
Außer Gegenwartskunst zeigten die Fabrikausstellungen auch
vorbildliche Beispiele von Volkskunst, belehrten über die
graphischen Techniken und über die Selbstherstellung von
Bilderrahmen.
Die Zahl der bis Ende 1938 durchgeführten Fabrikausstellungen
betrug 2525, sie waren von 5 Millionen Arbeitern besucht worden; und da
die jährliche Anzahl der Ausstellungen schon 1937 auf 602
angewachsen war und die Veranstaltungen erst im Kriegsjahr 1942
eingestellt wurden, dürfte ihre Gesamtzahl von 1934 bis 1942 rund
4000 betragen.
Nach dem Krieg hat mich Erich Heckel auf die Fabrikausstellungen hin
angesprochen, es war in Hemmenhofen 1945 oder Anfang 1946. Er sagte,
Schmidt-Rottluff, der in Berlin geblieben war, habe an ihn geschrieben
und ihn gebeten, mich zu fragen, welche Erfahrungen ich mit den
Fabrikausstellungen gemacht habe. Man beabsichtige eventuell, sie
wieder ins Leben zu rufen.
Ich habe davon abgeraten. Ich versuchte klarzumachen, dass die
ganze Unternehmung für mich in erster Linie eine kunstpolitische
Aktion gewesen sei, die Schaffung eines Forums für Moderne Kunst
an Plätzen, die der Staats- und Parteikontrolle entzogen waren,
eine Zufluchtsstätte sozusagen. Ebendies sei aber nunmehr 1946,
Gott sei Dank nicht mehr notwendig, man könne Moderne Kunst
öffentlich zeigen und jeder Arbeiter könne sie aufsuchen und
sehen. Natürlich hätte ich der DAF als Ziel und Aufgabe immer
die kunsterzieherische Wirkung auf die Volksmassen, die
Kunstvermittlung an den arbeitenden Menschen angegeben, aber der
Hauptantrieb für mich sei der Gedanke gewesen, dass die Tradition
des modernen Malens und die Tradition moderne Malerei zu sehen, beides
als Möglichkeit, in Deutschland nie ganz abreißen
dürfe.
Hinsichtlich einer kunsterzieherischen Breitenwirkung sei ich immer
skeptisch gewesen und auch skeptisch geblieben. Und eine Organisation
oder System, wie man es nennen mag, so wie ich es über ganz
Deutschland aufgezogen hatte, war nur durch die Einheitsstruktur der
DAF und ihre Finanzierung möglich. Hier und da mal eine
Kunstausstellung in einer Fabrik, einem Betrieb, einer Bank, das werde
es sicher nach unserem Vorbild immer wieder geben, aber eine so
umfangreiche, systematische Arbeit wie die unsere, wer sollte sie
machen, wer finanzieren? Und vor allem: War sie auch nötig?
Heckel wollte dies an Schmidt-Rottluff weitergeben.
Ich habe dann auch nichts mehr über Absichten dieser Art gehört.
Aus der Anfrage Schmidt-Rottluffs schloss ich, welche Anerkennung
meine Arbeit auch nach dem Kriege noch bei Künstlern und
Kulturbetreuern fand, dies erfüllte mich mit Genugtuung;
andererseits aber auch mit Erbitterung darüber, dass alles nun
beendet war. Von dieser Bitterkeit war auch mein sicher zu Unrecht so
skeptisches Urteil über die kunsterzieherische Wirkung der
Fabrikausstellungen beeinflusst. Denn immerhin hatten mich ja
zahlreiche begeisterte Arbeiterbriefe erreicht, aus denen ich in dem
Büchlein „Der Arbeiter und die Bildende Kunst“ mehrere
Seiten lang zitiert hatte. Am meisten gerührt hatte mich immer
eine Zuschrift, in der es hieß: „Kunst war früher dem
Arbeiter ein achselzuckender Begriff.“
Aber irgendwie befreit fühlte ich mich nach dem Krieg von dem
ungeheuren Druck, der jahrelang auf mir und damit auch auf Irmgard
gelastet hatte, denn außer den mir feindlichen Pressestimmen
langten auch bei der Leitung der DAF mit schöner
Regelmäßigkeit massive Angriffe gegen mich und meine Arbeit
an, jedes Mal firmierte eine hohe Parteistelle, aber wer war der
Verfasser? – Ich durfte ihn mir sozusagen ausdenken und schwankte
zwischen Rosenberg, Kampfbund, Dr. Hansen, Schweizer-Mjölair, der
inzwischen „Reichsbeauftragter für die künstlerische
Formgebung“ geworden war – ich tappte im Dunkeln, kann
keinen verdächtigen, aber sie alle und mehr kamen in Frage.
Jedenfalls war das immer ein Schock für mich, aber beruhigend war
wiederum, dass solche schriftlichen Attacken auf meinem Tisch landeten,
mit der Aufforderung „Stellung zu nehmen“, ich konnte sie
für einige Wochen in meine Schublade legen und dann eine
Verteidigung verfassen, die wiederum auf dem Dienstweg bis zur Leitung
der DAF zurücklief und so vermutlich schon unterwegs oder am Ende
in einem Leitz-Ordner verschwand. Rückschauend muss ich sagen: Die
DAF hat meine Arbeit geschützt, sie war großzügig in
der Genehmigung meines Arbeitsetats und hat sich niemals in Fachfragen
hineingemischt. Irgendwie waren sie stolz auf eine von der DAF
ausgehende eigene Tätigkeit auf einem so umstrittenen Gebiet, wie
es die Bildende Kunst war, zum Wohle der Arbeiter. Von der DAF aus
gesehen erschien eben alle von Parteileitung, Ministerien, Kampfbund
etc. ausgehende Kulturarbeit als doch im Grunde
„bürgerlich“, die DAF konnte auch im Dritten Reich nie
verleugnen, Nachfolgerin der Gewerkschaften zu sein. Und ich befand
mich, das hatte Hans Weidemann mir ganz richtig vorausgesagt, sozusagen
unter ihrem „Schutz und Schirm“.
Nicht allerdings als Person und Maler und nicht in dem, was ich
außerhalb der DAF noch unternahm, redete, schrieb. Doch
zunächst noch eine Schlussbemerkung über die
Fabrikausstellungen. Ich habe dieses unser Unternehmen hier so
eingehend beschrieben, weil ich festgestellt habe, dass es in der
einschlägigen Nachkriegsliteratur über die Kunstpolitik des
Nationalsozialismus kaum Erwähnung findet. Der Grund hierfür
wurde mir erst im Dezember 1960 klar.
Zu Kriegsbeginn hatte ich mich als Kriegsfreiwilliger gemeldet und
wurde an meinem Geburtstag (30. November) 1939 eingezogen. Von da ab
leitete mein Referent der Maler Hans Busch-Ahlsen die Abteilung
Bildende Kunst. Als dann Ende 1942 aus Kriegsgründen die
Veranstaltung von Fabrikausstellungen beendet und Busch selbst zur
Front eingezogen wurde, nahm er die gesamten Akten meiner Abteilung,
darunter alles, was sich auf die Fabrikausstellungen bezog, mit in sein
Berliner Privat-Atelier – in guter Absicht, damit kein
„Unberufener“ darin Einblick nehme.
Als nun seine Frau politische Schwierigkeiten bekam und eine
Hausrevision befürchtete, hat sie in einem Anfall panischer Angst
alle Akten in ihrem Ofen verbrannt.
Busch-Ahlsen schreibt mir in seinem Brief vom 05.12.1960:
„Entsinnst du dich, dass ich kurz vor meiner Landserzeit die
Akten vom Amt O. A. Schreiber mit nach Hause nahm und dass meine Frau,
als es brenzlig wurde und sie Schwierigkeiten hatte, dieselben in den
Ofen geworfen hat.“
Dies ist ein Missgeschick besonderer Art, für Historiker, die sich
heute für die damaligen Vorgänge interessieren und –
wenn sie in den Archiven auch alle sonstigen Akten der
KDF-Reichsleitung vorfinden, keine auf die Bildende Kunst
bezügliche Akte vorfinden können, aber auch ein Missgeschick
für mich und meine zahlreichen Mitarbeiter im ganzen Land, die
immerhin für eine gute Sache viel riskiert haben. Wer anders als
ich konnte und musste also wenigstens so eingehend, wie ich es hier
getan habe, über neun Jahre Fabrikausstellungen der DAF berichten?
–
Anfang 1935 wurde die „Kunst der Nation“ verboten.
Allerdings hatte bei den letzten Nummern schon der Herausgeber A.
William König als verantwortlicher Schriftleiter gezeichnet, ich
hatte die Schriftleitung niedergelegt, aus Arbeitsüberlastung,
aber vor allem auch, weil er mir zuviel hineinredete. Er brachte es
sogar fertig, den von mir unterschriebenen Text, mit dem ich mich von
den Lesern der „Kunst der Nation“ verabschiedete, durch
Streichungen, Änderungen und Hinzufügungen zu redigieren
(wozu er eigens, wie mir Dr. Deusch erzählte, in der Setzerei
erschienen war) und – was mich besonders schmerzte – in
schlechtes Deutsch zu verwandeln. Ich war darüber so wütend,
dass ich jeden Verkehr mit ihm abbrach. Und so berührte mich auch
das Verbot, das über „meine“ Zeitschrift bald darauf
verhängt wurde, nicht sonderlich. So lange ich sie redigierte,
hatte man sich gescheut, weil man die impulsive Heftigkeit, mit der ich
reagieren konnte, kannte; aber als der unbekannte Herr König
verantwortlich zeichnete, schlug man bei der erstbesten Gelegenheit zu.
Meiner Erinnerung nach hatte er eine negative Kritik über eine
Berliner Ausstellung der NS-Kulturgemeinde, die Rosenberg unterstand,
gedruckt – sicher hatte da ein Brief Rosenbergs genügt, das
ganze Ärgernis „Kunst der Nation“ für immer aus
dem Wege zu räumen. Dass Rosenberg bei aller sachlichen
Feindschaft nicht ohne Respekt mir und meiner Überzeugung
gegenüber war, wurde mir noch im Kriegsjahr 1943 klar, als er mich
zu meiner größten Überraschung zu einem Teeempfang
einlud, an dem nur etwa acht Personen teilnahmen. Darunter war auch
Arno Breker, den ich seit einem Atelierbesuch in der Zeit, als er noch
nicht Aufträge von Hitler hatte, kannte. Nun wollte er mir
erklären, dass er alle diese Staatsaufträge, bei denen der
Kunst natürlich Bedingungen mancher Art auferlegt würden, nur
eine gewisse Zeit lang annehmen werde, dann werde er den Tag bestimmen,
von dem an er nur noch privat, und nur noch der Kunst gehorchend
schaffen werde.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er sich mir
gegenüber, der sich in seinem Atelier vor Jahren seine frühen
Arbeiten, ich entsinne mich einer Figur von frühgriechischer
Strenge, mit Lob bedacht hatte, nun wegen seiner Staatsaufträge
genierte und sich schon rechtfertigen wollte, ehe ich ihn angriff.
Vielleicht hatte ich auch angedeutet, was ich über die
Glätte, Kälte und Pathetik seiner neueren Arbeiten dachte.
Ich besinne mich, dass er mir bei seinen Erklärungsversuchen
tatsächlich leidtat. Ich weiß, dass wir zwei oder drei
Zuhörer bei unserem Gespräch hatten, und so wollte ich nur
meinen Zweifel am Gelingen einer solchen Programmierung der eigenen
künstlerischen Entwicklung deutlich machen und begnügte mich
mit der Feststellung, dass ich es für gefährlich hielte, die
„Muse“ für eine „gewisse Zeit“ in die Ecke
zu stellen. Möglicherweise werde sie dann, wenn man geruhe, sie
wieder zu rufen, gekränkt sein und sich verweigern – oder,
um mit einem drastisch Landserausdruck zu reden – dem
betreffenden Künstler „vor den Koffer scheißen“.
Da ich mich genau auf diesen brutalen Ausdruck und Brekers betroffenes
Gesicht besinne, kann ich diesen Teeempfang so sicher datieren –
diesen Ausdruck hatte ich erstmals bei der Infanterie gehört und
zu benutzen gelernt – wie man sieht, leider auch in
distinguierter Gesellschaft zu benutzen.
Zwischen Rosenberg und mir wurde kein Wort getauscht. Aber ich
fühlte mich von ihm beobachtet, mehrmals, wenn andere sprachen,
entdeckte ich, dass er mich ansah, als wolle er meine Reaktion sehen.
Er selber sprach wenig, mit ziemlich leiser Stimme. Er schien
deprimiert. Vielleicht – so dumm war er ja nicht; ahnte er zu
dieser Zeit schon, wie der Krieg enden würde.
Aber ich greife immer wieder vor, es fällt mir schwer, wenn die
Erinnerungen kommen, alles zeitlich in Reih und Glied darzustellen.
1934 und 1935 begann auch die massive Einwirkung auf meine Existenz als
Maler. Meine Bilder wurden aus Ausstellungen, u. a. in Düsseldorf,
Essen, Hannover im Kunstverein Königsberg, im Glaspalast
München 1935, im Deutschen Künstlerbund 1936, und aus Museen
entfernt oder beschlagnahmt, teilweise vernichtet, einige ins Ausland
verkauft. Eines meiner Bilder wurde in der Münchener Ausstellung
„Entartete Kunst“ gezeigt.
Und die Presse?
Ich will nur einige Beispiele nennen. Die „Nationalsozialistische
Erziehung“, offizielles Organ der Lehrerschaft, bezichtigte mich
am 10. Juli 1933 „wissentlich verbrecherischer Anschläge auf
die Deutsche Kunst“. In ihrer Nummer 16 von 1935 befasst sich die
„Deutsche Studentenzeitung“ unter der Überschrift
„Ein frecher Vorstoß der jüdischen
Kulturbolschewisten“ mit der „Beschlagnahme von Bildern der
expressionistischen Maler Beckmann, Feininger, Heckel, Nolde,
Pechstein, Schmidt-Rottluff, Scholz, Schreiber O. A.“,
Kulturbolschewist, gut, das war ich inzwischen gewohnt – aber
„jüdisch“? Der Artikel ist – wen wundert es?
– von W. Hansen geschrieben. Auch vom „Westdeutschen
Beobachter“ werde ich 1935 im mehrspaltigen Aufsatz „Gegen
die Kunstreaktion“ zusammen mit den Expressionisten genannt und
1936 schreibt in der Nummer 34 die Zeitung „Die Bewegung unter
„kultureller Anarchie“:
„Wir glauben nicht, dass Barlach, Fassbender, Feiniger, Hofer,
Glut, Nolde, Pankok, Pechstein, Philipp, Radziwill, Schmidt-Rottluff,
Schreiber, Voll und ähnliche Vertreter die weltanschauliche
Legitimation in ihren Auffassungen und Werken für eine Ausstellung
„Deutsche Kunst im Olympiajahr 1936“ besitzen.
Der mit h. signierte, mit fünf großen Abbildungen
„entarteter Kunst“ (Feiniger, Glut, Woebke,
Schmidt-Rottluff und Hofer) illustrierte massive Angriff endet mit dem
Satz: „Hier handelt es sich auch für uns nicht um Kritik,
sondern um die Zurückweisung einer Herausforderung von Partei und
Staat, die, wie der Fall beweist, eine Einheit sind.“
In dem kleinen h. dürfen wir wohl mit Sicherheit Hansen als Autor
erkennen. Wie beharrlich er mich zu brandmarken bemüht war, sieht
man daran, dass er mir noch am 02.02.1937 in der Zeitschrift „Das
Bild“ (Verlag K. F. Müller, Karlsruhe) „freche
Sabotage gegen nationalsozialistische Kunstpolitik der Bewegung“
vorwirft.
Auch der „SA-Mann“, das Reichsorgan der SA, beteiligte sich am 15.08.1936 an dem Kesseltreiben.
Mit welchen hochoffiziellen und rabiaten Methoden in diesen Jahren
gegen Bilder (!) vorging, dafür spricht eine Passage des schon
erwähnten Artikels im „Westdeutschen Beobachter“
(1935):
„Wir erinnern daran, dass noch vor wenigen Wochen aus einer
Ausstellung der neuen Pinakothek in München auf Veranlassung des
Bayerischen Innenministers (!) mit polizeilicher Gewalt eine Reihe vom
deutschen und völkischen Standpunkt am meisten zu beanstandenden
Werke von Emil Nolde, Lyonel Feiniger, Max Beckmann, Erich Heckel,
Walter (richtig: Werner) Scholz, Otto Andreas Schreiber, u. a. m.
entfernt werden musste.“
Der Artikel schließt mit dem Satz:
„Die nationalsozialistische Bewegung aber wird das
Gorgonenhaupt dieses wirklichen Klüngels eines Tages ohne lange
Umschweife und ohne Klüngel einfach mit einem einzigen kühnen
Schwertstreich in den Sand der Vergessenheit rollen lassen.“
Und damit man ja nicht meint, diese Drohungen seien von einem einzelnen
Journalisten zu verantworten, heißt es im Vorspann: „Die
nachfolgenden Ausführungen geben die Stellung der
NS-Kulturgemeinde wieder.“
Besonders gefährlich war es, dass an der Polizeiaktion gegen
die Ausstellung der Pinakothek der oberste Parteirichter Walter Buch
als einer der Hauptveranlasser beteiligt war. Er erhob im Anschluss an
die Beschlagnahme im „Völkischen Beobachter“ folgende
Forderungen:
„1. Zu Vorderst sind diejenigen, die vor allem dafür
verantwortlich sind, dass sich die vom Führer in seiner Rede
bezeichneten Kreaturen der Verfallzeit doch wieder ans Tageslicht
trauten, zur Rechenschaft zu ziehen, bzw. vom Einfluss in Dingen der
Kunstverwaltung auszuschließen.
2. Alle diejenigen „Künstler“, die in den Zeiten
des Verfalls durch Juden und Judengenossen zu Ruhm und Ehren gelangten,
haben das Recht verwirkt, ihre Machwerke der Öffentlichkeit
vorzuführen.
3. Anstelle der Gaukler und Scharlatane, deren giftige Blüten im
Modergeruch der Verfallszeit zur Reife kamen, lasst die stillen
Könner zu Wort kommen, die in den Jahren der Weimarer Republik
nicht zur Geltung gelangten. Öffnet ihnen die
Ausstellungssäle, vor allem jenen, die von Juden und Judengenossen
niedergebrüllt wurden.“
Das war allerdings eindeutig. Unter den beschlagnahmten Bildern
befanden sich drei Ölbilder von Beckmann, zwei Ölbilder von
Feininger, ein Ölbild von Heckel, zwei Ölbilder und zwei
Aquarelle von Nolde, drei Ölbilder von Schmidt-Rottluff, eins von
Werner Scholz, eins von Thurmann, - von mir das Ölbild „Im
Garten“.
Ich habe es nie wieder gesehen, es wurde, wie mir vom
Vorsitzenden der Ausstellungsleitung Walter von Ruckteschell am 21.
März 1935 mitgeteilt wurde, mit den anderen (insgesamt 26) Werken
„per Express“ nach Berlin gesandt. Er fügte noch
hinzu: „Die Werke wurden im Namen des Gauleiters, im Einvernehmen
mit dem Reichsleiter der NSDAP entfernt!“
Ich fand es ebenso fair wie mutig, dass er seinen Brief
folgendermaßen beendete:
„Sie werden verstehen, wie hart diese Vorgänge die
Ausstellungsleitung München treffen und wie schwer es uns
fällt, Ihnen, verehrter Kollege, diese Mitteilung zukommen zu
lassen.
Wir bitten Sie, diese Eingriffe nicht persönlich nehmen zu wollen,
sondern in einem kollegialen Zusammenhalten uns den schweren Kampf, der
nun einzusetzen scheint, durchkämpfen zu helfen. Wir werden Sie
über alles Weitere ständig auf dem Laufenden halten. Der
begeisterte herzliche Empfang Ihrer Berliner Kollegen in unserem
Künstlerkreise sei Ihnen der beste Beweis für unsere
Einstellung“
„Alle Achtung, Herr von Ruckteschell“
Die Angriffe kamen inzwischen von allen Seiten immer wieder angespornt
von Alfred Rosenberg, der vom Führer mit der Überwachung der
gesamten weltanschaulichen und geistigen Schulung im Rahmen der NSDAP
beauftragt war. Am 14. Dezember 1934 hatte er in Hamburg gesagt:
„Künstler, die 14 Jahre lang von Juden und Marxisten
geprägt wurden und von ihren Lorbeeren pflückten, werden uns
heute von gewissen instinktlosen Menschen und ganz bestimmten
politischen Hintermännern als unsere Revolutionäre
aufgeschwatzt. Hier ist es an der Zeit mit allzu großer
Rücksichtnahme zu brechen.“
Dies zielte offensichtlich wieder auf mich, den er in seinem
großen Artikel „Revolutionäre an sich“ aufs Korn
genommen hatte (V. B. 14.07.1933).
Und dann folgt eine deutliche Drohung:
„Ich glaube, wenn in Deutschland, trotz dieser deutlichen Sprache
des Führers, der Versuch gemacht worden werden sollte, diese
Bestrebungen fortzusetzen, dass dann auch einmal der Bewegung die
Geduld reißt.“
Dies im Jahre 1934 gesprochen, als die große blutige
Abrechnung mit Röhm bereits hinter uns lag, wobei ja auch neben
Gregor Strasser dieser und jener Missliebige liquidiert worden war,
bewirkte schon etwas mehr als unbehagliche Gefühle.
Vor allem flößte es Irmgard Angst und Schrecken ein.
Trotzdem, ich kann mich nicht besinnen, dass sie jemals zu mir gesagt
hätte: „Kannst du nicht mir zuliebe damit aufhören?
Warum musst gerade du dich immer wieder so exponieren?“ Ihr
Vertrauen zu mir muss grenzenlos gewesen sein.