Briefe
27.07.1943
D
Seebüll
bei Neukirchen
(Schleswig)
Lieber Otto-Andreas Schreiber,
wir Maler sind wohl oft etwas
säumig im Schreiben, Sie aber waren es nicht u. Sie sandten
mir Farben, das ist sehr lieb von Ihnen, aber ist es nicht richtiger,
wenn Sie jüngerer Künstler so viel malen als Ihnen
möglich ist. Ich habe ja schon viel gemalt in dem langen Leben
u. so wie einst die Bilder entstanden, habe ich nun die traurige
Gelegenheit zu erfahren, wie hier und dort sie zerstört in ein
Nichts verwandelt werden. Der Krieg rast schwer. Aus dem materiellen
Krieg ist ein kulturfeindlicher geworden. Meiner Kunst sind zweiseitig
Feinde erstanden, Staatsschutz haben meine Bilder keinen und welchen
Sinn hätte es noch, dass ich arbeiten würde!
–
Und dennoch habe ich den
Trieb meiner Liebhabereien folgend kleinste schönste
Sächelchen entstehen lassen dürfen, so schön
wie nie zuvor. Doch bitte ich Sie hiervon keine Silbe zu sagen. Ich darf ja
nichts tun u. hinter jedem Busch lauert Verkennung und Neid in der
Hoffnung irgendetwas zu erfahren, das mich als Künstler
nochmals töten könne. –
So gerne hätte ich
mein Lebenswerk mit wenigen voll gültigen Werken abrunden
wollen, wie es bedeutendste Künstler früherer
Perioden durften u. konnten, stattdessen schaut man hinein in ein
Gewölbe von Dynamit u. Gift, aber da sind wir hier auf unserem
Land ja nicht alleine, das ganze große deutsche Volk leidet
schwer. Und so erstaunlich großartig u. tapfer die
Kämpfe sind, für die einzelnen sind sie unsagbar
schwer und in manchen Fällen gewiss noch schwerer tragbar
für die Anverwandten u. die Freunde. Wir haben sehr liebe
Freunde, die auch prachtvolle Menschen waren, verloren.
Sie fügten lieb eine
kleine Zeichnung Ihrem letzten Briefe bei, ich kann sehr leicht mich
hineinsehen, auch in das Bild, glaube ich, es ist schön, dass
Ihnen einzig Malen doch noch möglich ist, - vielleicht sind
Sie so mit mehr Spannung während der Entstehung eines Bildes
dabei, als ob Ihnen volle Zeitfreiheit gegeben wäre.
Von meiner Frau Ihnen liebe
Grüße – seit vier Wochen ist sie hier,
heute rührend im Gartenschatten – wir
grüßen Sie beide herzlichst und gedenken in Freude
der drei wackeren Jungens,
Ihr Emil Nolde
Seebüll, den 23.
Februar 1946
Lieber Otto-Andreas Schreiber!
Unter all den schweren
Nachrichten, die zu uns gekommen sind, waren glücklicherweise
auch gute. So die Ihrigen gestern erhaltenen. Wie freut es uns, dass
Sie beide und Ihre drei Kinder wohlbehalten zusammen sind und dass Sie
arbeiten. Es gibt wohl für jeden Künstler
viel nachzuholen. Auch ich habe etwas gemalt, nachdem die Fesseln
gefallen waren, und es ist mir ein Glück, dass es noch geht.
In Ihrem Brief interessiert
uns besonders, dass Sie von den Aquarellen, die in Ihrer Wohnung
hingen, schreiben. Es wäre uns sehr wichtig zu wissen, welche
oder welche Art Aquarelle und ungefähr wie viele dort hingen,
und wenn Sie sonst noch etwas uns mitzuteilen wissen, wären
wir sehr dankbar. Ich bitte Sie sehr, Herrn Dr. Paul oder sonst jemand
nichts zu sagen, dass wir uns bei Ihnen erkundigt haben! Allzu gern
hätten wir Sie gesehen und persönlich mit Ihnen
gesprochen, das aber kann gegenwärtig nicht sein, wir hoffen,
es wird etwas später hin sich finden.
In welcher Zone liegen Ihre
und unsere Wohnung?
Es ist schön, dass
Sie sich gesundheitlich erholt haben. Mir geht es ganz ordentlich, nur
leider ist meine geliebte Frau gegenwärtig krank, mit vielen
Schmerzen. Wir hoffen und hoffen, dass es wieder gut wird. Unsere
lieben Grüße –
Ihr Emil Nolde
Handschriftlicher
Brief von Otto Andreas Schreiber an Otto Pankok
Diesen Brief wollte ich an
Otto Pankok Anfang der 50er Jahre schreiben, aber ich
unterließ es. Pankok hatte an Heinz Clasing geschrieben,
warum er einen Nazi wie mich, der Professoren
„eingemauert“ und mit Pistole bedroht habe, in
seiner Galerie ausstelle!
Sehr geehrter Herr Pankok!
Ich wollte Ihnen nicht mehr
schreiben, seit ich Ihren mich diffamierenden Brief in Clasings
Händen sah, als ich nach 1945 bei ihm meine erste
Nachkriegsausstellung hatte. Schon aus diesem Brief ersah ich, dass Sie
nicht korrekt unterrichtet worden waren.
Inzwischen sind Jahre
vergangen, aber vielleicht ist es doch nicht zu spät, Sie an
das Wort „audiatur et altera pars“ zu erinnern.
Die Ihnen berichtete Aktion
in der staatlichen Kunstschule war eine der kurz nach Januar
’33 an allen Hochschulen übliche Propaganda-Aktion
zur Gewinnung von Mitgliedern unter den Studenten, veranlasst vom
Kreisführer des NS-Studentenbundes. Sie bestanden in
Propaganda-Rede, Fahnenhissen und Abzug unter Gesang, hatten an der Uni
mehrmals, an der TH, Landwirtschaftlichen Hochschule etc. schon
stattgefunden und dann war die Kunstschule an der Reihe. Ich sagte dem
Kreisführer sofort, dass ich befürchtete, Direktor
Kamps werde mir die Aktion als „Racheakt“
verbuchen, da ich gerade damals einige Zwistigkeiten mit ihm hatte. (Er
beschuldigte mich u. a. auf die Schülerstaffeleien
sämtlicher Ateliers papierne Hakenkreuzfähnchen
gestellt zu haben und glaubte allen meinen Unschuldsbeteuerungen nicht.
Er wie ich wussten damals noch nicht, dass der Sohn des
Obersekretärs der Kunstschule heimlicher SS-Mann war.)
Ich sagte also dem
Kreisführer, ich könne an der Aktion nicht
teilnehmen, damit mir nicht persönlich die Schuld gegeben
würde und er dispensierte mich. Zum Verständnis
dessen muss ich anführen, dass wir damals an der Kunstschule
nur sechs (!) NS-Leute waren, ich war der Verantwortliche für
sie.
So weiß ich nicht
mal als Augenzeuge, wie die Aktion verlief. Der Kreisführer
mit einem kleinen Trupp Studenten der Uni traf die Lehrerschaft in
einem Zimmer versammelt und setzte sie im Windfang der Schule fest. Er
ahnte nicht, dass gerade Referendarprüfung stattfand und er
den Vertreter des NS-Ministers Rust mit
„festgesetzt“ hatte. Die Schüler wurden
zusammengetrommelt, vom Treppenabsatz eine Rede gehalten und auf dem
Gebäude die Fahne gehisst. Dann zog der Trupp ab und das war
meines Wissens alles.
Nach meiner und u. a. auch
Erich Heckels Meinung (der übrigens auch Mitglied der
Kunstschul-Prüfungskommission war) hat Kamps den Fehler
gemacht, die ganze Sache zu wichtig zu nehmen und u. a. die Presse zu
unterrichten. So las man (und auch ich) anderentags in allen Zeitungen,
es sei ein „Überfall“ auf die Kunstschule
ausgeübt worden, den ein Schüler der Schule namens
Schreiber als persönlichen Racheakt veranlasst habe. Ich habe
mich darüber geärgert, es aber auf sich beruhen
lassen, da ich sehr langsam im Richtigstellen bin, wenn es mich
persönlich angeht (s. diesen Brief). Nun sah sich das
Kultusministerium veranlasst, eine Untersuchung des Falles
durchzuführen u. zu meinem Bedauern wurden drei der
NS-Gesinnung verdächtige Professoren unter der bestimmt
ebenfalls falschen Anschuldigung, sie hätten die Aktion
veranlasst, strafversetzt (Rösner, Reifferscheidt, Paatz).
Kamps und das übrige Kollegium blieben im Amt.
Wenig später, im
Juni 1933, wurde ich selbst aus dem NS-Studentenbund ausgeschlossen
wegen einer Rede für Moderne Kunst, die ich im Auditorium
Maximum der Uni gehalten hatte. Damit, dass Kamps dann später
– ich glaube, gegen Ende des Jahres – doch noch von
seinem Posten abgelöst u. als Professor an die Kunstakademie
in der Hardenbergstraße geschickt wurde, wo er meines Wissens
noch bis 1937 tätig war, habe ich nicht das Geringste zu tun.
Ich habe es auf die Auseinandersetzungen um die Moderne Kunst
zurückgeführt u. wie in dieser Beziehung meiner
Stellungnahme war, wissen Sie sehr gut. Die von mir begründete
und redigierte Zeitschrift „Kunst der Nation“, in
der ich auch für Ihre Kunst in Abbildungen und Text eintrat,
wurde 1935 von der Gestapo verboten. Meine Bilder wurden aus Sammlungen
(Kupferstichkabinett, Nationalgalerie) entfernt, in Ausstellungen
abgehängt und teilweise beschlagnahmt (Hamburg,
München, Königsberg, Essen u. a.). Ich habe dann als
Mitarbeiter bei KdF versucht, die Moderne Kunst in den
Fabrikausstellungen zu zeigen. Da Herr Erdle Sen. damals in
Düsseldorf von mir ernannter Ausstellungsleiter war, kann er
bezeugen, dass ich allen KdFgauen bis zur Einstellung dieser Arbeit bei
Kriegsbeginn 1939 die verbindliche Auflage gemacht habe, Arbeiten von
Ihnen, Gerhard Marcks, Schmidt-Rottluff, Pechstein etc. auszustellen.
Ich bin deswegen von V. B., Rosenberg, Mjölnir etc. immer
wieder angegriffen worden, habe es aber riskiert und durchgehalten,
wofür u. a. auch Sie mir in einem Brief betreffend dem Verkauf
einiger Ihrer Bilder Dank wussten. Eines meiner Bilder befand sich in
der Ausstellung „Entartete Kunst“. In unserem
Briefwechsel (ich besitze Ihre Briefe noch) und bei Ihren
persönlichen Besuchen haben wir uns doch immer ganz offen
ausgesprochen und Sie wissen genau, wie ich gedacht und gehandelt habe.
Dass mir danach die Lektüre Ihres an Clasing gerichteten
Briefes sehr bitter war, werden Sie mir glauben. Ich habe damals keine
Pistole besessen, keine getragen und nie jemand mit Pistole bedroht.
Auch habe ich niemanden „eingemauert“, alles Dinge,
die Sie in Ihrem Brief an Clasing behaupten. Ich vermute, Sie meinen
mit „einmauern“ das Verweilen der Lehrerschaft im
Windfang für 15 Minuten. Ich verurteile das ebenso wie Sie.
Doch genug.
Ihr O.-A. Schreiber
Brief
– datiert vom 21.07.1963; Sierksdorf/Lübecker Bucht
Lieber Herr Schreiber,
herzlichen Dank für
Ihren Brief und den Katalog Ihrer Ausstellung. Beides hat mich sehr
gefreut. Dass Sie in Ihrer Arbeit den eingeschlagenen Weg weiter
gegangen sind und zu überzeugenden Ergebnissen gekommen sind,
was man auch ohne Farbe herauslesen kann,
hat mich besonders
beeindruckt. Schön, dass Sie bei der Eröffnung so
viel Berliner Atmos-phäre finden konnten. Hoffentlich gibt es
auch einen guten Erfolg.
Ich vermute, dass Sie in
Dormagen als freier Maler leben. Dank auch für den
Gruß von
K. F. Ertel, der zur Zeit auf
ein Wort von mir warten dürfte.
Alle guten Wünsche
und herzliche Grüße Ihnen und Ihrer Frau
Ihr K. Schmidt-Rottluff
Brief – datiert vom
14.01.1968; Berlin-Zehlendorf, Schützallee 136
Lieber sehr geehrter Herr
Schreiber,
ein Bekannter machte mich vor
einigen Wochen auf das Taschenbuch bei Rowohlt von Hildegard Brenner
„Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus“
aufmerksam – übrigens schon 1963 erschienen. Ich
habe mir das mal besorgt, und ich war außerordentlich
erfreut, dass Ihr damaliges Eintreten für
unerwünschte Kunst eingehend gewürdigt worden ist. Es
veranlasst mich daher, Ihnen einen Gruß zu schicken und Ihnen
meine Verbundenheit auszudrücken.
Ich hoffe, es geht Ihnen gut
– ich darf Ihnen in alten Erinnerungen die Hand
drücken.
Ihr K. Schmidt-Rottluff
Brief – datiert vom
13.03.1978; Köln, Belvederestraße 149a
Lieber Herr Schreiber,
erst spät reagiere
ich auf die Anzeige vom Tode Ihres Vaters – das Wetter setzt
meinem Kreislauf zu.
Aber ich will Ihnen sagen,
dass dies Ereignis auch mit getroffen hat – ich
schätzte und achtete diesen aufrechten und tapferen Mann, der
für die als gut erkannte Sache mit ganzem Einsatz
gekämpft hat.
Die ganze
unglückselige Zeit steht vor meinen Augen, und so schlimm sie
war, sie hat auch die Gleichgesinnten wach gemacht und entschlossen,
dem Geist zu dienen, auch mit dem Untergang vor Augen. Otto Andreas
Schreiber hat eine wichtige Aufgabe erfüllt – kann
einem ein besseres Los zuteil werden?
Wir können auf ihn
stolz sein.
Mit herzlichem Gruß
Ihr Gerhard Marcks
(Brief posthum an die Familie)